Witten. . Wie Menschen mit der „Vergesslichkeitskrankheit“ besser versorgt werden können, stellten Studierende der Uni Witten/Herdecke auf einer Tagung vor. Verschiedene Berufsgruppen arbeiten gemeinsam daran.
Schokoküsse, Schaumwaffeln, Speckmäuse, Weingummi und Geleehimbeeren hat Marita Neumann mit Puderzuckerglasur zu Bildern geklebt. Etliche solch süßer Werke stehen im Foyer der Uni Witten/Herdecke auf Staffeleien. Dass diese Kunst tatsächlich zum Naschen ist, hat mit dem Thema der Tagung, die hier gerade stattfindet, zu tun: Es geht um „Multiprofessionelle Versorgung von Menschen mit Demenz – Perspektiven und Strategien“.
Studierende des bundesweit einmaligen Masterstudiengangs, in dem sich Vertreter unterschiedlichster Berufe mit dem Thema Demenz befassen, stellen hier vor, was sie in den beinahe zwei Semestern gelernt haben. Die Präsentationen dienen gleichzeitig als Prüfungen. „Wir wollen nicht hinter verschlossenen Türen arbeiten, sondern uns der Fachöffentlichkeit vorstellen“, sagt Otto Inhester, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter die knapp 20 Studierenden betreut. Etwa 100 Besucher haben die Chance genutzt.
Sie können sich nicht nur bei Vorträgen informieren, sondern auch durch einen aus weißen Bettlaken konstruierten Hohlweg gehen, der verschiedene Exponate zeigt. Alle eint das Thema Demenz – „die Vergesslichkeitskrankheit“. Zu sehen ist etwa ein Holzklotz, in dem dicke Nägel stecken. Untertitel: „Vernagelter Holzkopf“. Dann kommen auch wieder Marita Neumanns kunterbunte Naschwerke ins Spiel. Die 48-Jährige arbeitet in einer Essener Einrichtung, in der Menschen mit Demenz gepflegt werden, und studiert nebenbei.
Die Idee zu den Bildern sei per Zufall am Arbeitsplatz entstanden. Eine dort ehrenamtlich tätige Künstlerin hatte Weihnachten ein paar Pralinen in Tannenform zusammengeklebt und vergessen, das Bild wegzustellen. Schnell waren die Süßigkeiten verschwunden – im Vorbeigehen abgefuttert von Bewohnern. „Menschen mit Demenz haben einen starken Bewegungsdrang. Dass sie ausreichend essen, ist ein Problem, aber süß geht immer. Wir haben schon Leute mit Erdbeertorte und Sahne über den Winter gebracht“, erklärt Marita Neumann. Natürlich weiß sie, dass zu viel Süßes nicht gesund ist. „Aber hier geht es um Lebensqualität und Wohlbefinden und manchmal sogar ums nackte Überleben.“ Deshalb sei es durchaus realistisch, mit solchen Bildern zum Essen zu animieren.
Einiges im Studium sei für sie nicht neu. Doch der Austausch mit anderen Berufsgruppen helfe ihr, immer noch andere Aspekte über Demenz zu lernen. Etwa von Andrea Strudthoff (32). Die Kölnerin ist Architektin und durch persönliche Betroffenheit am Thema interessiert. Mehr darüber zu erfahren, welche Wohnformen ideal für Demenzkranke sind, sei ihr Ziel. Jennifer Schubert (32) wiederum arbeitet als Projektmanagerin in der Industrie. Auch ein Versicherungsmathematiker sei unter den Studierenden. „Wir müssen“, sagt Marita Neumann, „gemeinsam das Bild der Demenzkranken in der Gesellschaft verändern“.