Heven/Möhnesee. Nach der Bombardierung der Möhnetalsperre erreichte die Flutwelle Witten am Morgen des 17. Mai 1943.Die „Insel“-Siedlung wurde zerstört. Drei Menschen starben. Zeitzeuge überlebte selbst nur knapp
„Mit der Geschwindigkeit eines Kraftwagens raste die Flutwelle, Tod und Vernichtung verbreitend, talwärts, sättigte sich in den Ortschaften gleich unterhalb der Sperre mit Hunderten von Menschenleben, überrannte in der Ruhraue liegende Gehöfte, zerstörte Brücken und Uferstraßen.“ Diese Zeilen, die der seinerzeit in Bommern lebende Paul Ruge später für den Heimat- und Verkehrsverein verfasste, lassen das Grauen erahnen, das bei der Möhne-Katastrophe heute vor 70 Jahren, am 17. Mai 1943, durch eine Spezialbombe der Engländer über das Ruhrtal hereinbrach.
Werner Jacob (77), damals ein siebenjähriger Lausbub in kurzer Lederhose, weiß noch, wie sich die Schreckensnachricht damals „in Windeseile“ verbreitet habe. Statt in die Schule führte sein Weg zur zur Bommeraner Ruhrbrücke. „Die Wassermassen rissen alles mit sich, was sich in den Weg stellte – ganze Gartenhäuschen sah ich vorbeirasen, einen Mithaufen, auf dem sich noch Hahn und Hühner festkrallen, Tierleichen, Balken . . .“ Jacob sah auch, dass ein Autofahrer sich nicht davon abhalten ließ, die überflutete und gesperrte Ruhrmannstraße zu befahren: „Er wurde vom rasenden Wasser fortgerissen – ich höre noch heute seine verzweifelten Schreie!“
Köttersiedlung schwer getroffen
Hans-Ulrich Hake (88), damals 18 Jahre jung und später Rektor der Bommerfelder Schule, hat die Geschehnisse 1997 für den Heimat- und Geschichtsverein Bommern aufgearbeitet. Danach erreichte die Flutwelle gegen 11 Uhr Witten, sie „machte aus dem Ruhrtal einen großen See“. Fußgänger benutzten anstelle der gefährdeten Bommeraner Brücke den Eisenbahn-Viadukt.
Während Bommern selbst am tiefsten Punkt bei Steger mit leichten Schäden davonkam, traf es sie Hevener Köttersiedlung „Insel“ neben der Ruhrschleuse umso härter. Fast alle Fachwerkhäuser verschwanden in den Fluten. „Im Schutz des einzigen nicht ganz zerstörten massiven Hauses“, so Hake, „flüchteten etwa 15 Einwohner auf einen Baum, wo sie bis zum Abklingen der Flutwelle ausharren mussten.“ Sämtliche Gebäude der nahen Kläranlage wurden zerstört. Lediglich das alte Schleusenwärterhaus überstand – mit herausgespültem Fachwerk – die Katastrophe. Die Wohnhäuser wurden nicht wieder aufgebaut.
Hakes Bilanz für Witten: acht Wohnhäuser zerstört, 85 Wohnungen beschädigt, Schäden an den Wasserwerken, Zerstörung der Kläranlage und der Ruhrschleuse, Produktionsausfälle bei den Fabriken und Zechen. Insgesamt tötete die Flutwelle im Ruhrtal mehr als 1570 Menschen.
Hans-Ulrich Hake (88) selbst überlebte die Katastrophe denkbar knapp: Er saß als 18-Jähriger im Zug der über den Herdecker Ruhrviadukt fahren sollte. „Aus dem Fenster sah ich, wie der mittlere Pfeiler vor uns wegrutschte.“ Es sprang raus, noch bevor der Lokführer den Zug ganz zum Stoppen gebracht hatte. „Die Leute, die noch drin saßen, schrien wie die Wilden. Sie haben aber alle überlebt.“
Drei Tote waren laut Paul Ruge in Witten zu beklagen: Werkmeister Hallenbach stand auf einer Mauer am Eingang der Firma Lohmann in Herbede. Die Strömung riss die Mauer um, er ertrank. Die Herbederin Gertrud Ahlmeier, die sich in Günne aufhielt, war dort eines der vielen Opfer. Die Leiche eines 31-Jährigen aus Bommern wurde erst am 23. Mai aus einem Becken des Wasserwerks an der Herbeder Straße geborgen.
Überflutet waren u.a. Ruhrdeich, Uferstraße, Herbeder Straße und die Ruhrtalbahn zwischen Wengern und Herbede. Bis zu den Büros der Schaufelfabrik Bredt stand das Wasser. Im Herbeder Ruhrtal wurden Häuser und Fabriken geräumt, Bergleute der Zeche Holland fuhren sofort aus. Der Pegel der Ruhr wurde mit 6,89 m gemessen – 1,08 m über dem bis dahin höchsten aus dem Jahre 1890 (Quelle: Ruge).