Witten. .

„Todesengel“ ist ein Stück aus der Mitte der Gesellschaft. Es geht um Außenseiter, Mobbing und Vorverurteilung.

Und um das, was aus der verletzten Seele eines Jugendlichen erwachsen kann: Der Wunsch nach Rache. Sonnie Maier greift in ihrem Theaterstück auf den womöglich schrecklichsten vorstellbaren Akt der Rache zurück: Ein Amoklauf in einer Schule. „Todesengel“ hatte am Wochenende Premiere in der Christuskirche.

Mia, die Hauptfigur, ist eines der Opfer des Amoklaufs und landet zu Beginn des Stücks im Himmel. Als die junge Schülerin von Gott im „Danach“ begrüßt wird, kann sie sich mit dem, was Geschehen ist, jedoch nicht abfinden und lässt ihrer Wut und ihrer Verzweiflung freien Lauf. Sie bekommt daraufhin eine zweite Chance: Mia wird zurück auf die Erde geschickt. Allerdings bleiben ihr nur 24 Stunden, um den Amoklauf, den Tod von 14 Menschen, inklusive ihres eigenen, zu verhindern. Einen Hinweis, wer der Todesschütze ist, bekommt sie nicht. Einzig den Tipp: „Sieh genau hin“.

Zurück auf der Erde, versucht sie genau das – hinzusehen. Doch das ist schwerer als gedacht. Denn auf der Suche nach dem Mörder muss sich die 16-Jährige durch ein Dickicht aus Klischees und eigenen Vorurteilen kämpfen. Die werden von Sonni Maier, die gleichzeitig Macherin des Theaterstücks ist und die Hauptrolle spielt, gekonnt vorgeführt. Auch den Zuschauern wird die eigene Voreingenommenheit durch die Figuren vor Augen geführt. So wie durch Hendrik: Der Schüler trägt schwarze Kleidung, hört Death-Metal und spielt Egoshooter.

Nicht nur für Mia ist fast schon klar: Wer, wenn nicht er? Doch kurz darauf kommt die junge Migrantin Hülya auf die Bühne. Und auch sie scheint mit ihrer aggressiven Art, ihrem fehlenden Respekt vor anderen Schülern genau in das Bild einer Amokläuferin zu passen. Dabei schafft es Hülya, gespielt von Kerstin Pollig, nicht nur ein schillerndes Bild des Klischees einer schlecht integrierten Ausländerin zu zeichnen. Mit ihren provokanten Dialogen („Alta, isch geh Sport!“) und einigen gekonnt eingebauten türkischen Satzfragmenten holt sie die Jugendlichen im Publikums direkt in ihrer Lebenswelt ab. Und durchbricht ganz nebenbei den Ernst des Stücks , indem sie erleichterndes Lachen auslöst.

Auch Felix (18), der das Stück aus dem Zuschauerraum verfolgte, ist von der Rolle Hülyas begeistert: „Einige meiner Mitschüler würden sich schon selbst wiedererkennen. Das Stück ist sehr realitätsnah.“

Während der Vorführung wächst zumindest bei den Zuschauern die Vorahnung, wer der Amokläufer ist. Nur Mia verstrickt sich in Selbstzweifel, sucht die Schuld für das Desaster bei allen anderen, außer sich selbst. Die Erkenntnis kommt dabei leider viel zu spät, obwohl die Anzeichen, die Spur zum Täter, überall zu sehen ist. War sie geblendet von ihren eigenen Vorurteilen? Am Ende bleibt ein sehr emotionales Stück, das auch Dina (26) sehr berührte: „Ab und zu musste ich mir schon ein Tränchen verkneifen. Einfach ein krasses Thema, dass ich jetzt erst mal sacken lassen muss.“

Die Idee zu dem Stück kam Sonni Maier (31) bereits 1999, nach dem Amoklauf an der Columbine Highschool. In den vergangenen 14 Jahren arbeitete sich die Theaterwissenschaftlerin durch Gespräche mit Opfern, Helfern und einem potentiellen Täter intensiv in das Thema ein.

Nach den Premierewochen soll das Stück an Schulen aufgeführt werden und so einen Beitrag zur Vorbeugung gegen Gewalt an Schulen leisten.