Witten. . Im Zentrum für Kinder- und Jugendtrauerarbeit lernen Mädchen und Jungen, wie sie schwere Schicksalsschläge verarbeiten können.

Klaras Bruder starb. Ebenso Phillips Mutter, Tabeas und Belindas Vater. Charlotte verlor in kurzer Zeit Uroma, Oma, Opa und Tante. Verluste, die eine Kinderseele nur schwer verkraften kann. Aber nicht mit Annette Wagner! Die macht im „Zentrum für Kinder- und Jugendtrauerarbeit“ an der Lutherstraße aus traurigen Kindern mutige.

„Wir weinen und wir lachen. Wir springen in die Trauer hinein, wie auf einem Trampolin, und wieder hinaus“, fasst Annette Wagner ihre Arbeit zusammen. Philipp, Tabea und Belinda waren Teil der ersten Trauergruppe, die sich seit Eröffnung des Zentrums Ende Oktober 2012 traf. In der Wohnung an der Lutherstraße fanden sie einen Ort zum Weinen, zum Schmerz-Überwinden und zur Lebensfreude. Die selbst gemachten Pizzabrötchen liegen noch auf dem Teller, Phillip jongliert in einer Ecke und die Mamas Sabine Stehr und Carmen Kahlfuß quatschen in der Küche. „Tabea, wir müssen gleich zum Elternsprechtag!“, ruft letztere. Alltag.

Warum sie hier ist? „Weil mein Mann von einer Stunde auf die andere verstorben ist. Ich möchte, dass meine Kinder jemanden, der sich damit auskennt zur Seite haben“, sagt Carmen Kahlfuß und schon kippt die Alltagsfassade. „20 Jahre waren wir zusammen. Die Hälfte meines Lebens. Er war mein Seelenverwandter.“

Lungenembolie und Herzinfarkt, im August 2012 stand sie plötzlich allein mit drei Kindern da. 15, neun und zwei Jahre alt. „Ich bin selbst noch unter Schock“, schnieft sie. „Und ich weiß nicht, wann die Kinder das überstanden haben.“

„Er hat uns so schnell verlassen“

„Mein Papa ist gestorben“, sagt Tabea, ihre neunjährige Tochter, schlicht und zeigt eine Blechdose mit Andenken: Ein Hemd, das noch nach ihm riecht. Ein paar Fotos, von ihr auf Papas Schultern. Ein kleiner Engel. Und Texte, die Trost spenden. „Am schlimmsten ist, dass ich mich nicht verabschieden konnte. Er hat uns so schnell verlassen“, sagt Tabea. „Anfangs habe ich gedacht: Papa ist halt weg. Irgendwann habe ich ihn richtig vermisst. Und dann wurde mir klar, dass er nicht mehr wiederkommt.“

Wie verarbeiten Kinder Trauer? Sie haben andere Mechanismen, weiß Annette Wagner, die pädagogische Leiterin des Zentrums. Mit sechs Jahren verlor sie selbst den Vater. „Wichtig ist zunächst, dass der Alltag geregelt ist. Das alles wieder ,heil’ ist.“ Wer liegt neben Mama im Bett? Wer bekommt Papas Anziehsachen? Wer tröstet die Großen? Kinder funktionieren in dieser Zeit, sind „schön lieb“, um nicht zusätzlichen Ärger zu machen. Frühestens nach einem halben Jahr aber kippt die Situation: „Jungs werden manchmal aggressiv, Mädchen ziehen sich zurück.“ Und: Während Erwachsene sich untröstlich in ein Loch verkriechen, liegen bei Kindern Weinen und Lachen dicht beieinander.

„Ich bin froh, dass ich hier mit anderen Kindern sprechen kann, die auch sowas erlebt haben“, sagt Belinda. Sie will jetzt, nach den zehn Sitzungen, regelmäßig ins Trauerzentrum kommen, zum Basteln, Backen, Probleme durchkauen. „Ich hab’ vorher viel geweint. Ohne Papa fehlt ein Teil von mir.“