Witten. . Beate Telgheder ist sehbehindert, alleinerziehend – und voller Lebensmut. Sie macht Musik und Theater.
Sie spielt Theater und Akkordeon. Denn Sprache und Musik sind ihre Ausdrucksmittel. „Und sie waren meine einzige Chance, wieder auf die Beine zu kommen“, sagt Beate Telgheder, die seit einigen Jahren aufgrund einer Netzhautdegeneration fast blind ist.
Sie war 28 und extrem kurzsichtig, als die Netzhaut an manchen Stellen porös wurde und zu reißen drohte. „Mein Augapfel war überdimensional lang. Deshalb stand die Netzhaut, die ihn abdecken muss, unter Hochspannung – wie ein Luftballon“, erklärt Beate Telgheder ganz sachlich. Sie wurde gelasert, operiert, doch der Prozess war nicht zu stoppen. „Innerhalb eines halben Jahres habe ich mein linkes Auge verloren.“ An seiner Stelle sitzt heute eine Prothese. Zehn Jahre später war das rechte Auge dran. Fünf Prozent Sehkraft besitzt es noch, der Sehwinkel ist stark eingeschränkt.
„Da wurde mir der Boden unter den Füßen weggezogen. Es war, als würde ich in einem Katastrophengebiet leben.“ Sie war wütend, traurig, frustriert – bis sie ein Leben fast ohne Augenlicht akzeptieren konnte. „Ich sehe Dinge und Menschen wie mit einem Kreideschwamm verwischt“, beschreibt die 49-Jährige. Doch im Gehirn entstünden trotzdem Bilder, „durch die Eindrücke, die ich bis dahin abgespeichert hatte, durch das, was ich weiß, und den Rest, den ich sehe“.
Sie spüre die Welt nun eben mit anderen Sinnesorganen. „Ich höre, wenn das Glas voll ist.“ Und in ihrer Wohnung bewegt sich Beate Telgheder inzwischen vollkommen sicher, auch wenn es zwei Monate gedauert hat, „bis ich mir Kopf oder Füße nicht mehr gestoßen habe.“ Auch sonst nimmt sie eher eine Beule in Kauf, als sich zu Hause einzuigeln.
Beate Telgheder, die gelernte Gärtnerin, arbeitet heute als Telefonistin im Bereich Tele-Marketing. Es ist nur ein Minijob, der die Alleinerziehende neben der Erwerbsunfähigkeitsrente über Wasser hält. „Von wegen Inklusion“, sagt sie, „in meiner Situation hat man auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance. Um eine Umschulung machen zu können, hätte ich meine Kinder abgeben müssen.“
Der Glaube an Gott und die eigenen Energiereserven halfen ihr, Nervenzusammenbrüche und andere Tiefs zu überwinden. Und nicht zuletzt sei das Akkordeon, das sie als Kind zu spielen lernte und 25 Jahre nicht mehr in die Hand nahm, wie ein Geschenk für sie. Dem elf Kilo schweren Instrument entlockt Beate Telgheder butterweiche und laute Töne, am liebsten in Richtung Tango und Jazz. Weil ihr Blick nicht mehr ihr Seelenleben widerzuspiegeln vermag, drückt sie ihr Einfühlungsvermögen mittels des Akkordeons und des Theaterspiels aus. „Und wenn ich all das, was ich inzwischen gelernt habe, wieder abgeben müsste, um sehen zu können, würde ich sagen: Nein, ich möchte nicht mehr tauschen.“