Witten. . Projektfabrik zieht ins ehrwürdige Café Leye
Der rote Faden an dieser Geschichte ist: das Blaumachen. Vor etlichen Jahren schwänzte Sandra Schürmann im Café Leye die Schule. Heute engagiert sich die Unternehmerin für Jugendliche auf Arbeits- und Orientierungssuche. Ihre „Projektfabrik“ wird im Oktober in der einstigen Konditorei an der Bahnhofstraße eine Bildungsstätte mitsamt Theater eröffnen.
Endlich ist wieder Leben in dem schmalen Haus an der oberen Bahnhofstraße, das erst im Inneren seinen Charme entfaltet. Bis heute ist das Interieur aus dem Baujahr 1958 erhalten geblieben: der Teppichboden mit Rosenmuster, die rostroten Polstergarnituren, die Kronleuchter, die wirken wie umgekippte Orangina-Flaschen. Und vor allem: die geschwungene Wendeltreppe zur ersten Etage.
Vier Jahre stand das Lokal leer. Hausbesitzer Stephan Prigow fand keinen Nachfolger für die schwierige Immobilie mit kleinem Entree im Erdgeschoss und großem Speiseraum in der ersten Etage. Seit Juni werden die Räume saniert, die Bauleitung hat der Wittener Marcel Drache inne. „Wir wollen den Charme und die Substanz erhalten“, sagt Sandra Schürmann. Schließlich bergen die Räume so manches, was nah am Theater ist. Unwillkürlich möchte man doch die Treppe wie eine Diva herunterschweben oder den Saal mit ein paar Tanzschritten durchqueren.
Der Name und der Schriftzug an der Fassade bleiben erhalten. Offiziell lässt sich hier die „Schule für Kunst, Kommunikation und Wirtschaftsgestaltung“ nieder. Die 110 Mitarbeiter der „Projektfabrik“ sollen an diesem Ort geschult werden, wozu bislang extra Räume angemietet wurden. Auch die Wittener müssen nicht ganz auf das Traditionshaus verzichten. Schürmann schweben öffentliche Kleinkunstveranstaltungen oder Vortragsreihen vor. Dazu soll das Erdgeschoss zu einer Espressobar umgebaut werden.
Die Verwaltung der „Projektfabrik“ bleibt in der Ruhrtal-Villa in Herbede. Sie ist ein bundesweit agierender - und häufig prämierter - Anbieter eines Programms für Arbeitssuchende. Mit dem JobAct-Projekt werden „nachhaltige Bildungswege zur Arbeitsfindung für benachteiligte Bevölkerungsgruppen“ vermittelt. Was sperrig klingt, ist höchst kreativ: Die Suche nach dem Arbeitsplatz sei eine Suche nach dem Lebenssinn, den man etwa im Theaterspielen finden kann.
Schürmanns ungewöhnlicher Ansatz begeisterte einst den Deutschland-Chef der amerikanischen Investmentbank J.P. Morgan. Diese hatte ein Förderprogramm ausgeschrieben, das letztlich in Witten landete: 3,5 Millionen Euro Sponsoring, von dem nun auch der Umbau im Café Leye finanziert wird. Für Schürmann ist die Anmietung des Cafés ein Schritt zurück zu den Wurzeln. Während die Idee der Projektfabrik bis ins Ausland expandiert, blieb man am Standort Witten bislang weitgehend unbekannt.