Angehende Altenpfleger testen für ihren Beruf, wie es sich anfühlt, im Rollstuhl zu sitzen. Sie ernten komische Blicke, Hilfsbereitschaft, aber auch große Ignoranz

Die Vorderräder des Rollstuhls heben sich leicht, doch über die Stufe kommen sie nicht. Svenja Serwatka rollt wieder zurück. Ein Mann kommt auf sie zu, starrt sie an, läuft vorbei und guckt nochmal zurück — aber er hilft der Rollstuhlfahrerin nicht. Gut fünf Minuten lang müht sich die 20-Jährige ab, niemand geht ihr zur Hand. Bis Dagmar Hantke von Foto Brinkmann aus dem Laden kommt und Svenja eine Rampe hinstellt.

„Das finde ich echt traurig, dass mir keiner geholfen hat“, sagt die 20-jährige Altenpflegeschülerin. „Da muss man sich wirklich fremd schämen.“ Sie kann eine halbe Stunde später wieder aus dem Rollstuhl steigen, denn ihre Klasse testet an diesem Donnerstagvormittag nur, wie es sich auf vier Rädern anfühlt. Doch alte und behinderte Menschen können das nicht. Um die angehenden Altenpfleger für die Probleme von Rollstuhlfahrern zu sensibilisieren, organisiert die Diakonie Ruhr in Zusammenarbeit mit dem Sanitätshaus Richter drei- bis viermal pro Jahr einen solchen „Test-Tag“.

Test drei- bis viermal pro Jahr

Weiter geht’s die Ruhrstraße hinunter. „Es war schon eine Überwindung, sich in den Rollstuhl zu setzen“, sagt Svenja Serwatka. „Man sieht alles von unten und viele Leute gucken einen komisch an.“ Unter der Wolldecke, die ihre reglosen Beine wärmt, blitzen rote Turnschuhe. Sie sehen passenderweise so aus, als wäre die 20-Jährige noch nie damit gelaufen. In Sommer’s Fleischerei rollt sie gut hinein, doch die Theke ragt weit über ihre Schultern. „Wir gehen rum und geben den Kunden die Ware, das ist kein Problem“, versichert Verkäuferin Petra Heiermann.

In die Boutique, das Schnellrestaurant und die Parfümerie würde die Altenpflegeschülerin ohne Hilfe kaum hineinkommen, in die Gaststätte auch mit Hilfe nicht — vier Stufen sind drei zu viel. „Ich würde mich nicht trauen, einen Rollstuhlfahrer hier hochzuziehen“, sagt Altenpflegeschülerin Liliane Zilske (37), die ihre Kollegin Svenja schiebt. „Ich hätte viel zu viel Angst, den Rollstuhl fallenzulassen.“ Und Svenja wiegt nur 52 Kilo.

Nächste Station: Sparkasse. Barrierefrei geht’s in den unteren Raum mit den Geldautomaten. Aber da muss Svenja Serwatka kräftig rangieren. Wenn sie vorwärts an das Gerät fährt, kommt sie kaum an die Tasten. Wenn sie seitwärts fährt, muss sie sich ziemlich verrenken. Aber in diesem Moment kommt ein Mitarbeiter und weist auf den behindertengerechten Automaten auf der höheren Ebene hin. Und die ist über die Flaßkuhle erreichbar. „Na, das ist was ganz anderes“, freut sich die 20-Jährige. Sie kann mit dem Rollstuhl ein Stückchen unter das Gerät fahren und sitzt auf diese Weise direkt vor den Tasten.

Die Volksbank bietet eine ebenerdige Servicehalle und einen Fahrstuhl nach oben, nur einen rolligeeigneten Geldautomaten findet Svenja nicht. „Aber einer der Geldautomaten ist niedriger angebracht, da komme ich besser dran.“

So langsam, sagt Svenja, tue ihr der Allerwerteste weh. So lange zu sitzen ohne Anti-Dekubitus-Kissen, sei schon anstrengend. Und ihre Beine fühlten sich schlapp und kalt an. Gut, dass sie eine Wolldecke drüber habe. Und dennoch, der Test sei wichtig: „Ich weiß jetzt, wie man sich im Rolli fühlt“, so die angehende Altenpflegerin. „Ich vertraue Liliane, aber wenn mich jemand fremdes schieben würde, hätte ich schon Angst, an hohen Bordsteinen oder steilen Rampen umzukippen.“

Diese Sorge kann jetzt auch Lisa Kollert nachfühlen: „Wenn wir die Bahnhofstraße überquert haben, hatte ich immer Angst, in der Schiene stecken zu bleiben und dann kommt die Bahn“, erzählt die 21-Jährige. Aber immerhin habe sie bei ihrer Tour viele hilfsbereite Menschen getroffen: „Eine Frau hat mir sogar angeboten, mich auf die Toilette zu begleiten.“