Witten. . Familienministerin Ute Schäfer schlägt vor, Gruppen für unter Dreijährige zu vergrößern - mit mehr Personal. Einrichtungen könnten aber schon jetzt mehr Mitarbeiter brauchen
Es klingt wie Torschlusspanik: Knapp ein Jahr, bevor Eltern einen Rechtsanspruch auf die Betreuung unter dreijähriger Kinder haben, denkt Familienministerin Ute Schäfer über die Vergrößerung der U3-Gruppen in Kitas nach. Denn noch fehlen in NRW 27 000 Plätze, in Witten 140. Bei Erzieherinnen und Eltern sorgt Schäfers Idee für Unverständnis. Schon jetzt hätten die Kitas mit der Betreuung der Kleinkinder gut zu tun. Würden die Gruppen noch größer, gebe es mehr Unruhe und weniger Zeit fürs einzelne Kind.
Linus, Louis, Damian, Robin und Leonie sitzen im Stuhlkreis und singen. Der kleine Joshua ist ein bisschen erkältet und kuschelt sich an Sina Bök. Zwei Erzieherinnen kümmern sich in der Kita Wirbelwind in Annen um acht ein- bis dreijährige Kinder. Der Tagesablauf ist immer gleich, den Kleinen zuliebe: Begrüßung, Frühstück mit den Drei- bis Sechsjährigen, Zähneputzen, Hinübergehen in den U3-Raum, Morgenkreis, Obstpäuschen, Stuhlkreis, Wickeln, Schlafanzug anziehen, Mittagessen, Mittagsschlaf, usw.
Alleine das Wickeln, Umziehen, Essen und Zähneputzen dauere pro Kleinkind etwa eine Stunde am Tag, weiß Kita-Leiterin Monica Hesa. Bei acht Kindern seien das acht Stunden, also vier pro Mitarbeiterin. „Und dann haben wir noch nichts vorbereitet, nicht gesungen, nicht gespielt und nicht getröstet“, so die erfahrene Erzieherin. Selbst noch wenn eine Fachkraft dazu stoßen würde, wie Ministerin Schäfer im Falle einer Gruppenaufstockung versprach, bliebe weniger Zeit für das einzelne Kind. „Dann müssten wir uns auf die elementaren Dinge beschränken: Wickeln, füttern und aufpassen“, so Monica Hesa. Doch gerade bei den ganz Kleinen sei eine intensive Beschäftigung mit jedem Kind wichtig.
Wir sind schon jetzt mit der U3-Aufstockung an der Grenze unserer Kapazität“, sagt Martin Treichel, Vorstandsvorsitzender des ev. Trägerverbands, der in Witten 14 Kitas betreibt, zwölf mit Gruppen für unter Dreijährige. Und mit einer Aufstockung von momentan maximal zehn auf 15 Kinder „hört der Spaß auf“. Bislang böten die Gruppen den Jüngsten ein Nest, so Treichel. Doch diese familiäre Atmosphäre würde in einer größeren Gruppe verloren gehen.
Und selbst wenn der Verband Schäfers Idee umsetzen wollte, gebe es zwei Probleme: Es sei schon länger schwierig, qualifiziertes Kita-Personal zu finden. Und das müsse auch noch körperlich fit genug sein, mit den Kleinen auf dem Boden herumzukrabbeln und sie herumzutragen. Für die aktuellen Gruppen sei der Personalschlüssel (zwei Erzieher und Ergänzungskraft) in den evangelischen Kitas in Witten erfüllt, „aber das ist schon knapp genug“. So könnte sich auch Melanie Aha, Leiterin der ev. Kita in der Brunebecker Straße, durchaus mehr Mitarbeiter vorstellen — auch ohne eine Gruppen-Aufstockung im U3-Bereich: „Denn wir wollen die Kinder nicht nur begleiten, sondern auch fördern.“
Skepsis hat Jugendhilfeplanerin Joanna Dolinska bei allen Trägern ausmachen können. Die Landesregierung verspüre einen großen Druck, mehr Kita-Plätze bis August 2013 zu schaffen. „Aber uns ist die Qualität wichtig, nicht der Ausbau um jeden Preis.“
Anke Ferlemann wird das freuen. Sie hat lange gesucht, bis sie für ihre zwei Kinder in der Elterninitiative Kita Wirbelwind eine kleine Gruppe gefunden hat, erzählt sie. „Sonst hätte ich meine Kinder nicht guten Gewissens abgeben können.“ Für sie gebe es für die Idee der Ministerin nur eine Antwort: „Ein klares Nein.“