Witten. Im Laufe der Zeit sind aus den Industriedenkmälern des Ruhrgebiets sehenswerte Museen, Parks, Bühnen und Ateliers geworden. Bei Touren und Besichtigungen bieten sich tiefe Einblicke in eine Region, die in der Industriekultur ihre kulturelle Identität bewahrt. Eine Reise zur Zeche Nachtigall.

Früher hörte man sie oft im Ruhrtal singen: die Nachtigall. Die Vögel zogen fort, der klangvolle Name blieb: „Nachtigall“ – so heißt das ehemalige Bergwerk am Eingang des Wittener Muttentals. Seine Geschichte reicht weit in die vorindustrielle Zeit zurück, als man die Ruhrkohle dicht an der Oberfläche fand und niedrige Stollen waagerecht in die Berghänge trieb.

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Bereits ab 1832 ging die Zeche als eine der ersten im Revier zum Tiefbau über. Bis zu 450 Meter unter der Ruhr erschlossen die Schächte Neptun und Herkules ergiebige Kohlevorkommen. Mächtige Dampfmaschinen pumpten Wasser aus dem Schacht und zogen die Förderkörbe ans Licht. Die Zeche Nachtigall ist typisch für den Beginn des Industriezeitalters im Ruhrbergbau.

Original rekonstruierte Schachtanlage

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Bereits 1892 wurde die Kohlenförderung eingestellt. Anschließend siedelte sich auf dem Gelände eine Ziegelei an. Der Standort gehört heute zum Westfälischen Industriemuseum und wurde nach der Restaurierung der historischen Zechen- und Ziegeleigebäude 2003 offiziell eröffnet. Erhalten sind der Förderschacht Hercules, der Kamin des Kesselhauses, das Werkstattgebäude und das denkmalgeschützte Maschinenhaus mit der historischen Dampffördermaschine.

Eine Dauerausstellung informiert über den „mühsamen Weg ins Industriezeitalter“. Museumsbesucher unternehmen auf dem Museumsgelände einen Rundgang durch fast 300 Jahre Industriegeschichte. Höhepunkt ist eine Führung durch das Besucherbergwerk: Im Nachtigallstollen stoßen sie – ausgerüstet mit Helm und Grubenlampe – bis zum Steinkohleflöz „Geitling 3“ vor und erleben mit Abbauhammer und Pressluftbohrer die Arbeitsbedingungen im Bergbau vergangener Tage.

Vor dem Stolleneingang zeigt „Zeche Eimerweise“ mit einer original rekonstruierten Schachtanlage den Kleinbergbau nach 1945. Ein bergbaugeschichtlicher Rundweg durchs Muttental mitsamt einem Bethaus der Bergleute und die benachbarte Muttenthalbahn laden zu weiteren Ausflügen in die frühe Bergbaugeschichte an der Ruhr ein.

Zeche Nachtigall in Witten - Wiege des Ruhrbergbaus 

Vor der Industrialisierung war die Gegend rund um die Zeche Nachtigall nur dünn besiedelt. Damals wurde das „schwarze Gold“ im Tagebau abgebaut: kaum mehr als zehn Bergleute waren um 1800 auf der Zeche Nachtigall beschäftigt. 50 Jahre später, als die Kohle bereits im Tiefbauverfahren Kohle aus der Erde kam, arbeiteten in der damals größten Zeche des Ruhrgebiets bereits 500 Bergleute. Sie förderten knapp 95.000 Tonnen Kohle jährlich, um die sprunghaft gestiegene Nachfrage zu befriedigen.

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Um die Kohle aus etwa 150 Metern Tiefe zu gewinnen, musste das einfließende Wasser abgepumpt werden, das sich zwangsläufig in der Grube sammelte. Erst als dies mit Hilfe einer Dampfmaschine möglich war, wurde der Tiefbau möglich. Ab 1856 wurde übertage eine 500 PS starke Dampfmaschine errichtet, die die Kohle zu Tage förderte, während eine weitere für die Wasserhaltung zuständig war. Untertage zogen Pferde die Kohle in den unterirdischen Gängen zum Schacht.

Starke Wasserzuflüsse und schlechte Flözverhältnisse trugen dazu bei, dass die Zeche 1892 stillgelegt wurde. Noch im Jahr der Zechenschließung erwarb der Bauunternehmer Wilhelm Dünkelberg das heutige Museums-Gelände. An der Stelle der Zechenbauten um Schacht Hercules entstand bis 1899 die heute noch erhaltene Doppel-Ringofenanlage, in der jährlich bis zu elf Millionen Ziegel gebrannt werden konnten. Nach Schließung der Ziegelei 1963 und Übernahme des Geländes durch die Stadt Witten wurde die ehemalige Zeche 1983 Teil des Westfälischen Industriemuseums.

Das Muttental und der Ruhr-Bergbau 

Auch wenn die Anfänge bescheiden waren: Das Muttental ist die Wiege des Ruhrbergbaus. Tief im Süden des Ruhrgebiets begann die Zukunft einer Region, die später im Verbund von Bergbau, Eisen- und Stahlindustrie die größte Industrielandschaft Europas werden sollte. Bereits um das Jahr 1000 wurde in der Gegend um das heutige Witten nach Steinkohlen gegraben.

Der Sage nach hat ein Hirtenjunge die Kohle entdeckt, als die Steine seiner Feuerstelle morgens glühten. Denn das schwarze Gold lagerte direkt unter der Erdoberfläche, während es im nördlichen Ruhrgebiet – etwa in Gelsenkirchen – mehrere hundert Meter tief in der Erde lag. Über Jahrhunderte war die Kohlengräberei im Ruhrtal eher eine Nebenbeschäftigung: sie wurde von Bauern und Köttern betrieben, wenn neben der Arbeit in der Landwirtschaft noch Zeit blieb.

Lohnsenkungen und Arbeitszeit verlängerung

Je nach Bedarf grub man „Pingen“ oder „Pütts“ – brunnenartige Löcher, durch die man sich einen Zugang zur Kohle verschaffte. Als adelige Grundherren den wirtschaftlichen Nutzen des Bergbaus erkannten, wurde das freie Kohlengraben verboten. Fortan wurde der Bergbau nicht mehr für den Eigenbedarf, sondern für den Verkauf betrieben und sicherte den Köttern und Bauern in zugewiesenen Gruben ein zusätzliches Einkommen. Die Kohle wurde hauptsächlich in Schmieden verwendet, vereinzelt auch als Heizmaterial.

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An wirtschaftlicher Bedeutung gewann der Bergbau, als die Steinkohle im 18. Jahrhundert bei der Eisenverhüttung eingesetzt und die erforderlichen Transportwege geschaffen wurden. Fortan wurde der Steinkohlenbergbau – gegen den Widerstand adeliger Bergwerksbesitzer – unter staatliches Direktionsprinzip gestellt: Unter Freiherr vom Stein entstand das so genannte Bergamt. Dies brachte den Bergleuten einerseits Nachteile wie Lohnsenkungen und Arbeitszeitverlängerung, andererseits Privilegien wie die Befreiung bestimmter Steuern oder vom Militärdienst.

Wirtschaftlich nahezu bedeutungslos

Zudem bildete sich mit den Knappschaften eine für die damalige Zeit außergewöhnliche sozialpolitische Einrichtung mit Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Krankenversicherung, Arbeitsunfähigkeitsrente, Witwen- und Waisenrente und anderes mehr. Von 1735 bis 1806 vervierfachte sich die Kohleproduktion. Schon vor 1900 war das Ende des Bergbaus im Ruhrtal abzusehen.

Während im Norden des Ruhrgebiets große Tiefbauanlagen mit fabrikartigen Fördertechniken entstanden, erwiesen sich die Zechen im Ruhrtal aufgrund der schlechteren Flözverhältnisse und starker Wasserzuflüsse in den Gruben als unrentabel. Die Tiefbauzechen soffen ab und waren damit für immer zerstört, weil mit der Schließung auch die Wasserhaltung eingestellt wurde. Die Grubenbauten der alten Stollenzechen blieben erhalten und wurden während der beiden Weltkriege zum Teil in Selbsthilfe wieder in Betrieb genommen, um Brennmaterial zu gewinnen. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist der Bergbau im Ruhrtal wirtschaftlich nahezu bedeutungslos.