Witten. .

„Ich glaube nicht, dass Fußballfans in Gefahr sind, wenn sie im Juni zur Europameisterschaft in die Ukraine reisen“, meint Irina Kovalova. Die 50-jährige, die als Diplom-Pädagogin beim Caritas-Verband in Witten arbeitet, stammt selbst von dort.

Genauer gesagt aus Dnjepropetrowsk, der Geburtsstadt der inhaftierten Politikerin Julia Timotschenko, das kürzlich durch eine Serie von Bombenattentaten erschüttert wurde. „Ich habe natürlich sofort dort angerufen, um zu hören, ob jemand aus meiner Familie betroffen ist. Zum Glück war das nicht der Fall“, erzählt Kovalova, die seit 2003 mit ihrem Sohn Dimitri in Witten lebt.

Der 23-Jährige habe gesagt, die Industriestadt mit dem schwierigen Namen Dnjepropetrowsk habe im Westen bisher wohl kaum jemand gekannt, jetzt sei sie in aller Munde. Welch traurige Berühmtheit. Dagegen sei die Ukraine besonders durch das boxende Brüderpaar Klitschko positiver bekannt geworden. „Viele wussten bis dahin gar nicht, dass die Ukraine ein unabhängiges Land ist“, meint Irina Kovalova.

Auch ihre Freunde in der Heimat hätten sich zunächst gefreut, dass die EM dort stattfinde. „Aber inzwischen meinen sie auch, dass Deutschland und andere Staaten die Veranstaltung boykottieren sollten, um ein Zeichen gegen die dortige Politik zu setzen“, erzählt die 50-Jährige.

Sicher sei Julia Timotschenko, die einige von Kovalovas Freunden noch aus ihrer Studienzeit kennen, „keine Heilige“. „Das mag vielleicht naiv klingen: Aber sie wollte wenigstens noch etwas für ihr Volk tun und hat gezeigt, dass sie etwas verändern kann. Ihre Ideen sind für viele Menschen attraktiv“, meint die Diplom-Pädagogin. Und sie ergänzt: „Doch diejenigen, die jetzt regieren, kennen keine Stopp-Schilder mehr und wollen sich nur noch bereichern.“ Inzwischen spreche man in der Ukraine schon von der „Donezker Mafia“. Auch Präsident Viktor Janukowitsch stamme aus jener Region.

Dabei sei die Ukraine eigentlich ein schönes Land. Sie selbst habe es verlassen, „weil ich die Politik dort satt war“. Dennoch findet sie es traurig, dass ihr Geburtsland so häufig mit negativen Schlagzeilen verbunden werde. „Denn die Menschen dort sind eigentlich sehr gastfreundlich. Auch wenn sie noch so arm sind, tischen sie für Besucher alles auf, was sie haben“, gibt sie ein Beispiel. Allerdings seien die Menschen dort sehr ernst, was vermutlich durch die Erziehung käme. „In Deutschland lächeln die Leute viel mehr“, hat die Diplom-Pädagogin dagegen festgestellt.

Für die Fußball-Fans, auch aus Deutschland, sei ein EM-Boykott trotz Verständnis für die politische Situation „sicher ungerecht, denn viele von ihnen haben schon einiges für Tickets und Hotels bezahlt“, vermutet Irina Kovalova. Denn: „Die meisten sind sicher nicht reich. Aber die trifft es ja meistens. Überall.“