Witten. .

„Wollen wir sie rauslassen?“ Was für eine Frage: „Jaaa“, rufen die Kinder begeistert. Gemeint ist trotz dieser närrischen Tage nicht etwa Prinz Karneval mit Gefolge, sondern Hündin Tamy. Sabine Siekmann, Leiterin der integrativen Kita in Buchholz, öffnet die Tür ihres Büros und begleitet den braunen Riesen hinaus.

Tamy ist mit ihren zwölf Monaten längst kein niedlicher Welpe mehr, sondern eine 46 Kilo schwere Mischlingshündin mit Dobermannwurzeln. Beinahe Auge in Auge stehen die kleinsten Kita-Kinder ihr gegenüber. Von Angst keine Spur – auf beiden Seiten nicht. Denn Tier und Kinder kennen sich, seit Tamy acht Wochen alt war. Da brachte Sabine Siekmann (46) sie zum ersten Mal mit. Nach erfolgreicher Eingewöhnung wird Tamy nun bald zum Therapiebegleithund ausgebildet. Doch nicht nur die Kinder mit besonderem Förderbedarf, deren Sprachentwicklung zum Beispiel gestört ist oder die an Teil-Autismus leiden, haben was davon: „Alle profitieren vom Umgang mit dem Tier.“

Viele machen einen Hundeführerschein. Dabei lernen sie, dass Tamy es nicht toll findet, wenn sie an den Ohren oder am Schwanz gezogen wird. Dass sie sich bedroht fühlt, wenn ihr jemand in die Augen starrt. Oder dass man sie nicht stören darf, wenn sie gerade ihren Knochen kaut.

Aber auch Wahrnehmung und Sprache kann Tamy anregen – etwa indem die Kinder sie streicheln und dann sagen, wie sich das anfühlt. Beim Dog Dancing wiederum machen die Jungen und Mädchen zur Musik kleine Kunststücke mit dem Tier, die sie den anderen vorführen. „Dann sind sie wahnsinnig stolz“, sagt Sabine Siekmann. Ebenso bei den Agility-Übungen, bei denen die Kinder kleine Hindernisse aufbauen und der Hündin vormachen, wie sie überwunden werden können. Was natürlich auch die Motorik schult.

Auf den Hund gekommen ist die Kita bereits vor drei Jahren. Da hatte Sabine Siekmann noch eine andere Hündin. Das Tier war in einer Familie mit Kindern groß geworden. „Der Hundekorb mit den Welpen stand dort mitten im Wohnzimmer“, sagt die Kita-Leiterin, die bald merkte, dass ihre Tess deshalb immer dahin wollte, wo Kinder waren. Und dass die Kinder das toll fanden. Siekmann begann, sich mit tiergestützter Pädagogik zu beschäftigen.

Sie machte eine Ausbildung nach dem so genannten Münsteraner Modell. Dann reichte sie ihr Konzept beim Landesjugendamt, beim Gesundheits- und Veterinäramt sowie beim Unfallverband NRW ein. „Ich hatte mit mehr Gegenwind gerechnet“, sagt sie. Doch die Auflagen seien leicht zu erfüllen gewesen – und bald kam Tessa regelmäßig in die Kita. Weil so ein Therapiebegleithund alle drei Monate beim Tierarzt auf Herz und Nieren geprüft werden muss, stellte sich bald heraus, dass Tess ein Loch in der Herzklappe hatte. „Letztes Jahr mussten wir sie einschläfern lassen“, sagt Sabine Siekmann. Danach sei für sie sofort klar gewesen: „Ich fange wieder von vorn an.“

Und deshalb spielt und übt jetzt Tamy mit den Kindern. Wenn sie nicht in Frauchens Büro unterm Schreibtisch liegt. Auch eine Hündin braucht schließlich mal Ruhe.