Die Rudolf-Steiner-Schule steht unter Schock. Eine zehnte Klasse befand sich am Platz Saint-Lambert in Lüttich, als am Dienstag ein 33-Jähriger vier Menschen ermordete.

Die Rudolf-Steiner-Schule steht unter Schock. Eine zehnte Klasse befand sich am Platz Saint-Lambert in Lüttich, als am Dienstag ein 33-Jähriger vier Menschen ermordete. Die wichtigste Nachricht: Alle Schüler leben, niemand wurde verletzt. Aber die Seele schmerzt. In der Waldorfschule ist nichts mehr, wie es war.

Die 26 Zehntklässler waren am Dienstagmorgen mit zwei Lehrerinnen zu einem Ausflug nach Belgien aufgebrochen. In Lüttich wollten sie den Weihnachtsmarkt besuchen und ihr Französisch aufbessern. Gegen 12.30 Uhr sollten sie herausgerissen werden aus der Freude über den Ausflug, aus ihrem normalen Leben.

„Als wir auf dem Platz in Lüttich ankamen, hörten wir drei Explosionen“, erinnert sich eine 16-jährige Schülerin, die an der Exkursion teilnahm. Ein Mann erschoss gerade vier Menschen, warf mit Granaten um sich. Mitten in der heilen Welt, mitten auf dem Weihnachtsmarkt. Dort, wohin die Schüler gingen. Trotz Schüssen und Geschrei. „Man rechnet nicht damit, dass jemand einfach Leute erschießt“, sagt die Waldorfschülerin.

Am Platz Saint-Lambert seien ihnen viele Menschen entgegen gerannt, berichtet die Hevenerin. „Sie haben geweint und geschrien und uns weggezerrt. Auf Französisch sagten sie, wir sollten flüchten.“ Polizei und Krankenwagen rasten mit Sirenengeheul an. Erst da begriffen die Schüler: Es ist etwas Schlimmes passiert. „Was genau, erfuhren wir, als wir in einem Café Fernsehbilder sahen.“ Auf der Flucht durch die Lütticher Innenstadt hätten sie Schutz bei der belgischen Polizei gesucht. Einige Schüler hätten ihren Tränen freien Lauf gelassen.

Noch bevor die Medien über den Amoklauf berichteten, war Oberstufenleiterin Gerti Strothmann-Rath über die Ereignisse informiert. Sie war zu dieser Zeit in Witten. „Ich war sofort in Sorge, ob jemandem etwas passiert ist. Es hieß, der Täter läuft noch frei herum.“

Nach einer Stunde Angst und Ungewissheit konnte die Wittener Gruppe mit dem Bus nach Witten gebracht werden. Da wusste auch Gerti Strothmann-Rath, die als Deutschlehrerin eine besondere Verbindung zu der Klasse hat: Alle leben, allen geht es den Umständen entsprechend gut. Doch das Erlebte zu verarbeiten, wird Zeit brauchen. An Normalität ist einen Tag danach in der Rudolf-Steiner-Schule nicht zu denken.

Viele Schüler sind zu Hause geblieben. Das hatte ihnen die Schule freigestellt. Die, die trotzdem gekommen sind, machen keinen Unterricht. Erst heute soll der normale Stundenplan wieder langsam anlaufen. Die Schüler sitzen in Gruppen zusammen, geben sich gegenseitig Halt. „Alle sind sehr still. Viele schweigen“, sagt Gerti Strothmann-Rath. „Jeder ist sehr mit sich selbst beschäftigt.“

Das heißt aber nicht, dass nicht über die Ereignisse gesprochen wird. „Je nach Gemütslage herrscht ein sehr offenes Gesprächsklima.“ Nach und nach hätten sich Schüler geöffnet, Gesehenes erzählt, um es irgendwie zu verarbeiten. „Das tut allen gut“, sagt Gerti Strothmann-Rath. „Die Schüler haben erlebt, dass sie dem Tod ganz nah waren.“