Gülcan (16) und ihre Schwester Berivan (14) wurden im Mai Zeuginnen einer brutalen Tat: Ein Mann schlug einen 49-Jährigen mit einer Flasche zusammen. Die Schülerinnen kamen nun an den Ort zurück, an dem sie Erste Hilfe leisteten.

Der riesige Blutfleck auf dem Weg im Lutherpark ist längst verblasst. Die Erinnerungen an den 11. Mai sind für Gülcan und Berivan aber noch frisch. Die Schwestern haben miterlebt, wie ein Mann einen 49-Jährigen mit einer Flasche niederschlug. Sein Gesicht war vollkommen entstellt. Der mutmaßliche Täter, ein 37-jähriger Wittener, muss sich mittlerweile vor dem Bochumer Landgericht wegen versuchten Totschlags verantworten (wir berichteten). Er hat die Tat bereits gestanden.

Nun, sieben Monate nach dem Tag, der ihr Leben verändern sollte, sind Gülcan und Berivan zurückgekommen. Beide schauen verkniffen, aber nicht der kalte Wind ist schuld. „Da unten“, sagt die 16-jährige Gülcan und zeigt von der Skateranlage auf den Weg, „da lag der Mann in einer riesigen Pfütze aus Blut.“ Es war ein stämmiger 49-Jähriger, der zu Boden gegangen war. Ein Mann, den Gülcan und Berivan bei der Polizei nur den „Dicken“ nannten. Er streifte das erste Mal ihr Leben.

Was mit ihm vor ihren Augen passiert war, ließ die Hauptschülerinnen nicht kalt: Ein 37-Jähriger hatte, wie dieser selbst einräumt, dem Mann nach einem heftigen Streit mit einer Flasche auf den Kopf geschlagen. So stark, dass sie zu Bruch ging. Der schwer verletzte Wittener sackte zu Boden. Mit dem mutigen Einsatz von Gülcan und Berivan hatte der Schläger nicht gerechnet.

Gülcan stürmte wütend auf den Mann zu. „Warum haben Sie das gemacht?“, habe sie von dem 37-Jährigen wissen wollen, erinnert sich die Overbergschülerin. „Der provoziert mich seit Wochen“, sei die knappe Antwort gewesen. Eine, mit der sich die 16-Jährige nicht zufrieden gab. Sie und Berivan griffen zum Handy, riefen Notarzt und Polizei. „Wir hatten Angst, dass der Mann stirbt“, sagt Gülcan. Ihre Schwester zeigt an den Kopf. „Da hatte er ein großes Loch. Alles war voller Blut.“

Der drogenabhängige Wittener, der den 49-Jährigen zu Boden geschlagen hatte, flüchtete, als er merkte, dass die Mädchen Hilfe gerufen hatten. Samet (15) und Emran (17), Freunde der Schwestern, nahmen mutig die Verfolgung auf. Bis zur Augustastraße. Dort hatte sich der Schläger in einem Gebüsch versteckt. Die Jugendlichen kreisten den 37-Jährigen ein und warteten, bis mehrere Polizeiwagen mit Blaulicht angerast kamen.

Gülcan und Berivan leisteten zu dieser Zeit Erste Hilfe. „Wir haben den verletzten Mann in die Stabile Seitenlage gelegt“, erzählt Berivan, die die Freiligrathschule besucht. Ihre Schwester ergänzt: „Unsere Mutter hat in ihrem Frisörsalon einen Plan an der Wand. Darauf wird erklärt, wie das geht.“ Aus einer Sporttasche nahmen die beiden ein Handtuch. „Die Wunde hat so stark geblutet, dass wir sie irgendwie stillen mussten.“

Immer wieder drohte der verletzte 49-Jährige bewusstlos zu werden. „Gülcan und ich haben ihn ständig angesprochen“, meint Berivan. „Er musste ja wach bleiben, bis der Arzt kommt.“ Der traf kurze Zeit später ein, konnte den blutüberströmten Wittener notversorgen. Das Opfer war ansprechbar. Berivan und Schwester Gülcan hatten ganze Arbeit geleistet – und für die Polizei waren sie wertvolle Zeuginnen.

Sie schilderten den Beamten den Tatablauf und führten sie zu dem Flaschenkopf, den der 37-Jährige auf einer Wiese entsorgt hatte. Gülcan und Berivan hatten extra ihre Finger davon gelassen. „Beweismaterial darf man nicht anfassen“, wissen sie. „Das sieht man oft genug im Fernsehen.“

Wenn sie so etwas noch einmal erleben würden, so die Schwestern, würden sie genauso handeln. „Viele Menschen gucken weg“, sagt Gülcan. „Das wollen wir nicht.“

INFO

Am Mittwoch ging der Prozess gegen den 37-Jährigen weiter. Auch Gülcan und ihre Schwester kamen zu Wort. Berivan bestätigte das, was vermutet wurde: Der Angeklagte habe dem 49-Jährigen gegen den Kopf getreten als er am Boden lag. Nicht unwichtig für das Gericht: Es muss entscheiden, ob die Tat ein versuchter Totschlag war oder „nur“ gefährliche Körperverletzung. Dem Wittener drohen bis zu 15 Jahre Haft.