Witten. Am 5. November liest Fritz Pleitgen im Saalbau aus "Väterchen Russland". Kurz vor dem Start des Kulturhauptstadtjahrs erzählt er im Gespräch mit Redakteurin Claudia Vüllers von seinem Buch und den Chancen für das Ruhrgebiet.

Am 5. November sind Sie mit Ihrer Lesung „Väterchen Don” im Saalbau.

Fritz Pleitgen: Ja, dieser Termin ist fest gebucht, obwohl es mit der Kultuhauptstadt-Vorbereitung jetzt richtig zur Sache geht.

Dann reden wir zunächst über die Kulturhauptstadt. Bis zum Beginn sind es nur noch 61 Tage. Doch wenn man über die Straßen geht, ist von einer Euphorie noch nichts zu spüren. Wie soll das Virus überspringen?

Pleitgen: Ich weiß nicht, ob nicht vielleicht zu viel erwartet wird. Kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft herrscht auch keine Euphorie. Die trat erst ein, als die WM begonnen hatte. Außerdem haben die Menschen ein Kulturhauptstadtjahr hier noch nicht erlebt. Wir erwarten aber beim besten Willen nicht, dass wir eine Euphoriewelle über das gesamte Jahr hinzaubern können. Wir haben aber ein klares Ziele vor Augen: Wir möchten mit der Kulturhauptstadt das Ruhrgebiet auf seinem Weg zur Metropole Ruhr ein ordentliches Stück voranbringen – nach Kohle und Stahl mit Hilfe der Kultur.

Was bleibt nach 2010?

Pleitgen: Die Kulturhauptstadt soll nachhaltig wirken. Und es lässt sich schon jetzt absehen, dass dies auch funktioniert. Beispiele sind das Dortmunder U, das Viktoria Quartier in Bochum oder die Emscherkunst. Wir hoffen aber auch, Nachhaltigkeit in den Köpfen erzielen zu können. Die 53 Städte sind nicht sehr trainiert darin, gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen. Das hat sich jetzt schon drastisch geändert. Und das macht das Ruhrgebiet im nationalen und internationalen Wettbewerb stärker. Wir wollen aber auch alle Menschen mitnehmen. Zum Beispiel durch Projekte wie „Still-Leben” auf der A 40, wo Menschen singen, tanzen, Theater spielen und zusammen essen. Wichtig ist auch, dass das Image des Ruhrgebiets durch die Kulturhauptstadt verändert wird. Das ist in fast beleidigender Art veraltet.

Viele freie Kreative sind enttäuscht, dass sie nicht ins Kulturhauptstadt-Programm aufgenommen wurden. Verprellen Sie so nicht Engagierte?

Pleitgen: Ich verstehe, dass die Kulturhauptstadt die Hoffnungen vieler nicht hat erfüllen können. Und es tut mir leid, dass wir hier und da Enttäuschungen verursacht haben. Aber wir sind kein Subventionsbetrieb. Was die kommunale Kulturpolitik nicht zu leisten vermochte, können wir nicht mit der Kulturhaupststadt leisten. Wir wollen langfristig wirkende Impulse setzen. Wir hatten auch hochtrabende Pläne, aber die sind aufgrund der finanziellen Lage nicht zu bewerkstelligen.

Ein Witten Hotelier hat bemängelt, dass wenig für die Kulturhauptstadt geworben wird. Auch eine Folge des Geldproblems?

Pleitgen: Das Logo soll nicht verschleudert werden. Wer etwas für die Kulturhauptstadt leistet, soll mit dem Logo ausgestattet werden. Unsere Marketingmittel sind begrenzt. Aber es hat keinen Zweck zu jammern, darauf lege ich großen Wert. Wir sind in der schlimmsten Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Aber es zählt, was am Ende unterm Strich steht. Die Kulturhauptstadt wird eine Menge Positives fürs Ruhrgebiet bringen. Es gibt 300 Projekte, die für 2500 Veranstaltungen stehen. Natürlich müssen wir auch spektakuläre Dinge machen, die Geld kosten, wie zum Beispiel „Schachtzeichen”. Aber wir wollen, dass das Ruhrgebiet auch von außen wahrgenommen wird.

Wenn Sie Gäste aus Russland haben, was zeigen sie ihnen 2010?

Pleitgen: Ich würde ihnen die Einführung auf Zeche Zollern zeigen. Das ist zwar im Winter, aber Russen sind Kälte gewohnt. Russen singen auch gerne, deshalb würde ich sie zur Aktion „Day of Song” mitnehmen. Und sie haben einen großen Sinne für Poesie, deshalb würde ich ihnen den Poetry Slam zeigen. Das alles würde ich aber auch deutschen Gästen zeigen. Die Auswahl ist riesengroß.

Auf was dürfen sich die Wittener bei „Väterchen Don” freuen?

Pleitgen: Es geht um die Beziehung zwischen Russland und Deutschland über die Jahrtausende. Und es geht um das ewige Russland und das moderne und inwiefern beide deckungsgleich sind.