Witten. .

„Ein Jahr vergeht wie ein Moment“, singt Adel Tawil im „Universum“-Song. Tatsächlich scheint das erste Konzert von Ich+Ich beim Zeltfestival noch gar nicht so lange her. Und irgendwie ist fast alles wie 2010: volles Zelt, routinierter Sänger – nur der Regen, der kräftig auf die Plane prasselt, war zuletzt nicht mit dabei.

Das rot-braun gelockte Mädchen, das kaum über die Absperrung vorn an der Bühne reicht, wird jenen Freitagabend nicht so schnell vergessen. „Du bist vom selben Stern“, flüstert Adel Tawil der Kleinen zu und fordert sie zum Solo auf, während ihr Konterfei auf der großen Leinwand erscheint. „Och, wie süß“, erklingt es hier und da im Publikum. Doch der Rest der Menge drängt darauf, sich selbst wieder die Seele aus dem Leib singen zu dürfen. Auch im letzten Jahr war dieses Lied der kaum enden wollende Höhepunkt. Aber so weit sind wir ja noch gar nicht.

Um kurz vor acht also drängen sich die Besucher nicht nur im großen Zelt am See, sondern auch vor der Toilettenanlage am anderen Ende des Geländes. Gerade rechtzeitig bin ich zurück bei Ich+Ich. Denn vorn auf der Bühne tut sich was. Und das ist keine Vorgruppe, das ist schon Adel. Eine Viertelstunde früher als angekündigt beginnt er sein Programm – während viele Neuankömmlinge erstaunt ins Zelt strömen.

Adel schickt erst mal einen Gruß ins Publikum und macht weiter mit „Hilf mir“. Die Fans haben ein Einsehen, singen mit und kriegen gleich ihr Lob: „Das fängt ja super an. Man fühlt sich echt schon wie zuhause hier“, ruft Adel aufmunternd. Um, ebenso wie letztes Jahr, darauf hinzuweisen, dass es beim nächsten Song „nicht um Hamster“ geht, wenn’s im Refrain von „Pflaster“ heißt: „Es tobt der Hass da vor meinem Fenster.“ Ach Adel, das wissen wir doch längst.

Inzwischen hat der Sänger sich seiner Jacke entledigt. „Heiß ist es“, lächelt er. Und wird bald auch den Knopf seines gestreiften Hemdkragens öffnen, immer wieder einen Schluck Wasser nehmen und sich den Schweiß von der Stirn wischen. Das können jetzt auch jene sehen, die ganz hinten stehen oder sitzen. Denn endlich erscheint Adel in Großaufnahme auf der Leinwand.

Die „Gute Reise“, Titel des Albums von 2009, geht weiter. Natürlich tauchen auch andere Stücke auf. Zum Beispiel eins vom ersten Album, das Adel Tawil mit Annette Humpe aufnahm. „Den Song haben wir live nie gespielt“, sagt Adel und singt „Ich sehe was, was du nicht siehst“. Wir müssen es auch nicht unbedingt noch einmal hören.

Denn wir wollen vor allem eins: die bekanntesten Songs mitgrölen. „So soll es sein, so kann es bleiben, so hab’ ich es mir gewünscht.“ Familienfreundliche 22 Uhr ist es, als Adel Schluss macht. Natürlich hat er da all jenen hinter der Bühne, dem Veranstalter und der „besten Crew“ - seinen sechs Musikern sowie Sängerin und Geigerin Maria – gedankt. Hat noch eine „Stadt“ für uns gebaut, Küsschen an die Fans verteilt und versprochen, dass er nächstes Jahr wiederkommt. Kurz: Er hat ein gutes, aber eher unspektakuläres Konzert abgeliefert.

Danie Kost, die 40-Jährige in Jeans und Ringel-Shirt schräg vor mir, die mit Mann Holger (39) und Sohn Paul (11) da ist und fast jeden Text auswendig mitgesungen hat, bringt es auf den Punkt: „Mir fehlte diesmal das Gänsehaut-Gefühl.“