Witten. .
Es sollte der umsatzstärkste Tag des ganzen Jahres werden, doch dann kam der Regen. Betroffen waren auch Christian Bonner und Karin Aufermann, die beiden letzten verbliebenen Schausteller aus Witten auf der Cranger Kirmes in Herne.
Es fing schon am Samstagnachmittag (6.8.) an zu regnen und abends goss es dann richtig. Während Christian Bonner (46) mit Unmut die ein oder andere leere Gondel seines Karussells betrachtet, lässt sich Karin Aufermann (68) nicht die Laune verderben. Solange es nicht kalt wird, greifen die Leute immer noch gern zum Hörnchen, vor allem zum Schaumeis. „Kirmeseis“ nennt sich die sahnige weiße Köstlichkeit, die nach Vanille schmeckt und je nach Wunsch noch in eine Schokoladenfettglasur getaucht wird. Lecker!
Im „Break Dance No. 2“ muss der Reporter aufpassen, dass ihm das Fischbrötchen nicht wieder hochkommt. Mit atemberaubender Geschwindigkeit dreht sich die Gondel des bunt blinkenden Karussells. „Wollt ihr noch mal?“ ruft Schwiegersohn Thomas Grass (23) ins Mikro und alle kreischen: „Jaaaaaa!“ Die Flugkraft drückt uns tief in die Sitze. Und noch mal gibt der Junior richtig Gas, dreht am Knöpfchen, das den Teenagern das laute Juchzen entlockt und Ältere wie mich verzweifelt rufen lasen: „Nein!“
Christian Bonner ist mit seinem einst drei Millionen Mark teuren Fahrgeschäft nicht zu übersehen. Die neuen Monitore, 16 an der Zahl, sind die jüngste blinkende Errungenschaft. Mal heißt es darauf in riesigen Buchstaben „Stopp!“, dann wieder „Power!“ - immer in den grellsten Farben. Dazu wummern die Bässe der ohrenbetäubend lauten Musik. Thomas spielt die Charts rauf und runter. Die Bonners tun alles, um aufzufallen. „Licht lockt Leute, das hat schon mein Vater immer gesagt“, meint Christian Bonner.
Der Wittener stammt aus einer Schaustellerfamilie, er ist „auf der Kirmes groß geworden“. Unzählige Fahrgeschäfte haben die Bonners schon gehabt („der Name Musik-Express stammt von meinem Vater“), bis sie sich 1985 den „Break Dance“ zulegten, einen großen und einen kleinen. Der Große dreht sich heute in Crange, der Kleine auf einer Kirmes in Ratingen.
„Finale!“ ruft der Schwiegersohn ins Mikro und noch einmal geht die Post ab. Der Reporter hält sich verkrampft an dem schwarzen Sicherheitsbügel fest. Er sitzt in einer von 24 bunten Gondeln, die jeweils zu viert auf sechs so genannte „Kreuze“ montiert sind, die ein Motor antreibt. Das ganze Karussell steht auf einer großen Scheibe, die sich dreht.
Schwiegersohn Thomas steuert den Break Dance mit der Hand. Er spielt an den Knöpfen und bestimmt das Tempo. Da winkt ein Fahrgast, der ein kleines Mädchen neben sich hat. Thomas stoppt das Karussell. Aber das Kind will gar nicht aussteigen. „Mensch, warum winkt der denn?“ fragt Christian Bonner unwirsch.
In Aufermanns Eissalon geht’s ruhiger zu. Was nicht heißt, das nichts zu tun ist, selbst an diesem verregneten Samstag. Die vier Eismaschinen laufen, Karin Aufermann fährt mit einem Löffel hinein. Zum Vorschein kommt das berühmte Schaumeis, „so weich wie Sahne, aber eben eisig“. Das kleine gibt’s für 1,50 Euro, der „Riesen-Eis-Mohr“ - Schaumeis mit Schokoladen-Fettglasur - kostet 2,50 Euro. Außerdem gibt’s sechs verschiedene Sorten Eis. Verglichen mit dem Italiener um die Ecke ist das ein überschaubares Angebot. Klasse statt Masse.
Dazu passt der alte Eiswagen von 1979. Helle Fliesen an der Wand, sechs Glasleuchter, ein paar Metalltöpfe mit der braunen Schoko-Sauce, dazu weiße Tafeln mit roter Schrift - dieser Wagen strahlt noch jede Menge Nostalgie aus.
Karin Aufermann ist ebenfalls ein Kirmeskind. Mit den Eltern zog sie schon über den Rummel. Mal mit der „Berg- und Talbahn“, einer Art Raupe, mal mit dem Kinder-Karussell. Die heute 68-Jährige liebt das Schaustellerleben. „Was soll ich denn zuhause?“ Wenn sie heute nach Crange kommt, trifft sie viele alte Bekannte, mit denen sie schon als Kind über die Plätze der Region tobte.Ihr Sohn Heiner hilft beim Eis und hat „noch ‘ne Schieße“, Sohn Jörgi macht in Entenangeln und Dosenwerfen.
Dagmar Bonner (45) hat dagegen ins Schaustellergewerbe eingeheiratet. Sie ist seit über 20 Jahren dabei. Doch wer von außen kommt, war zunächst ein „Privater“, ein „Bauer“. Sie wechselt sich an der Kasse mit Tochter Deborah (21) ab, geduldig gibt sie Chip für Chip aus. Sie wirkt wie ein ruhender Pol zwischen all den Lämpchen, Spiegeln und blinkenden Monitoren, der neuesten Errungenschaft. „Was hier reinkommt“, sagt Dagmar Bonner und greift in die Geldstücke, „wird gleich wieder ins Geschäft investiert“. „Stillstand ist Rückschritt“, sagt ihr Mann Christian. Und wenn die Saison an Allerheiligen endet, heizen die Bonners den Schwenkgrill für den Weihnachtsmarkt an.
Dort verkauft Karin Aufermann dann Glühwein. Aber im Moment ist ja noch Sommer. Dem Reporter schenkt sie zum Abschied ein Hörnchen mit Schaumeis und Schokoglasur. „Und immer schön rechts rum lecken.“