Witten/Hattingen.

Der ehemalige Superintendent Ernst Voswinkel ist jetzt auch offiziell im Ruhestand – und steht wieder mitten im Leben.

Der Mann erzählt Geschichten. Sein Leben lang. Selbst über die Zeit, als es auf der Kippe steht, sein Leben. Fünf Jahre ist das her. Da sieht es schlecht aus für Ernst Voswinkel. Schwerer Herzinfarkt.

Auf keinen Fall will der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Hattingen-Witten in eine kirchliche Klinik, wo ihn jeder kennt. Also bringt man ihn in ein anderes Krankenhaus. Dort fragt ein ihm unbekannter Arzt nach dem Beruf. Pfarrer, sagt Voswinkel. Dann können Sie ja nicht stressbedingt krank sein, meint der Arzt.

Was der Mediziner nicht weiß: wie sehr er daneben liegt. Denn Ernst Voßwinkel ist stressbedingt krank. Weil der Pfarrer eben auch Superintendent ist, sind 1800 Menschen im Kirchenkreis „seine“ Arbeitnehmer. Für 400 davon hat er in den Jahren zuvor betriebsbedingte Kündigungen unterschrieben. „Das hat mein Herz kaputtgemacht“, sagt Ernst Voswinkel.

Als er in dieser Woche zum Gespräch in die Redaktion schlendert, schleckt Ernst Voswinkel (65) genüsslich an einem Eis. Kein süßes Laster eines Geistlichen. Sondern Medizin. Ersatz fürs Rauchen. Seit fünf Jahren rührt Voswinkel keinen Tabak mehr an.

Fünf Jahre, in denen er nicht mehr im Amt war, den Kontakt zur Kirche aber nicht verloren hat. Natürlich nicht. Kirche ist sein Leben, sagt man. Ein Spruch, den Ernst Voswinkel so nicht stehen lässt. „Auf den Glauben kommt es an, nicht auf ein Gebilde“, sagt er. „Selbst wenn es Kirche irgendwann nicht mehr gibt – Jesus Christus gibt es immer.“ Jeder Mensch sollte sich klar machen, dass er das Wichtigste im Leben geschenkt bekommt. Wichtig sei allein der Glaube.

Und dann wird der Prediger politisch. Und laut. „Wichtig ist eben nicht, dass sich Leistung wieder lohnen muss“, ruft Ernst Voswinkel. Banken, Boni, Rettungsschirme – das habe ihn richtig wütend gemacht in den vergangenen Jahren. Da hätte er was zu sagen gehabt. Auf der Kanzel. Auf der Straße. Voswinkel vermisst das Streitbare in der Kirche. Und zitiert Luther: Du sollst Gott fürchten und lieben. „Ja, es gibt einen zornigen Gott.“

Streitbar oder nicht – die Kanzel will auch der Pensionär Ernst Voswinkel nicht missen. Der Superintendent a.D. lässt nicht ab vom Predigen. Einmal im Monat ist er im Kirchenkreis zu hören. Nächster Termin ist Sonntag, 5. Juni, in Bredenscheid-Stüter. Dort, wo alles begann mit ihm und dem Kirchenkreis Hattingen-Witten. Zehn Jahre, von 1978 bis 1988, war Voswinkel Pfarrer in jener Gemeinde. Dann, mit 42, wurde der gebürtige Sauerländer – verheiratet, drei Kinder – jüngster Superintendent des Kirchenkreises.

Auch im neuen Amt bleibt Ernst Voswinkel, wie er ist. Einer, der die populäre Kirche predigt. Einer, der aneckt. Und einer, der Konsequenzen nicht fürchtet. Mit Blick auf die geplante Erweiterung des Kirchenkreises um Schwelm und Hagen will er im Februar 2000 ein vorzeitiges Ende seiner Amtszeit nicht ausschließen: „Ich kann mir einen Superintendenten für 200 000 Menschen nicht vorstellen.“

Was sich der Ruheständler 2011 noch vorstellen kann neben zauberhaften Eiskreationen und aufrüttelnden Predigten: ein Buch über Weihnachten zu schreiben. So viele Geschichten hat er in seinem Pfarrerleben erfunden, dass er „Die Nikolausmaus“ und alle anderen Stücke jetzt auch für die Ewigkeit retten will. Texte zum Lachen sind das. Und zum Nachdenken. Das kann der Mann eben besonders gut: Geschichten erzählen.