Witten.
Bei herrlichem Wetter konnten Freunde der 43. Wittener Tage für neue Kammermusik in ungewöhnliche Klangwelten eintauchen - an Bord der Schwalbe oder auch direkt am Ruhrufer.
Für die jeweils sechs Veranstaltungen „Ruhr-Musik: Schleuse“ und „Ruhr-Musik: MS Schwalbe II“ wurden nach ersten Schätzungen des Kulturbüros über 800 Karten verkauft. Denn neben den Besuchern der sechs großen Konzerte seien auch viele interessierte Neulinge von den kreativen Musikaktionen an der Ruhr angelockt worden.
„Die Karten für die Ruhr-Musik wurden nur einzeln verkauft und waren nicht im Festivalpass inbegriffen. Dadurch konnten wir gut feststellen, dass die Außenveranstaltungen auch viele Besucher an die Kammermusik herangeführt haben, die nicht zu den anderen Konzerten gegangen sind“, erklärt Dagmar Plakolmer vom Kulturbüro.
Tatsächlich trifft man bei Daniel Otts Klanginstallation „Querströmung“ einige Zuschauer an der Schleuse, die erst über die Natur den Weg zur neuen Kammermusik fanden. „Der Ort hat uns hierher gelockt. Denn normalerweise sind wir nicht die größten Freunde von Kammermusik“, gibt Regina Stieler zu, die mit ihrer Freundin aus Herne herkam.
Trotzdem sind die beiden Frauen von Otts Werk begeistert. „Durch das Rauschen bekommt es eine fast meditative Wirkung. Und die Umgebung eignet sich wirklich wunderschön als Bühne“, finden sie und genießen die Strahlen der Abendsonne, während am Fluss die Musik des Schweizer Komponisten erklingt.
Er spielt mit dem Rauschen der Ruhr und des kleinen Wasserfalls, das zusätzlich durch Lautsprecher verstärkt wird. Am Ufer haben Trommler Platz genommen. Auf der Lohmann-Halbinsel gegenüber stehen Musiker mit E-Gitarren. Plötzlich fährt auch ein roter Bagger durch die Szenerie. Hatte man zunächst noch eine Naherholungsidylle vor Augen, wird nun ein Eindruck der industriellen Vergangenheit Wittens vermittelt - nicht zuletzt auch durch die vom Band eingespielten Maschinengeräusche des Stahlwerks.
Ein Stück flussabwärts steht bei Manos Tsangaris’ Hörfilm „Beiläufige Stücke: Schwalbe“ die Fahrt mit dem Ausflugsschiff und die Wahrnehmung der Umgebung im Vordergrund. Vom Anleger an der Lakebrücke aus geht es bis auf den Stausee hinaus, während Musik und Sprecher die Blicke der Zuschauer lenken. Sie weisen auf die Schauspieler am Ufer hin, die als Jogger oder Musiker, als festgebundene oder davonlaufende Gestalten einen nahezu surrealen, fast träumerischen Anblick bieten. War das eben ein Schauspieler oder ein normaler Sonntagsausflügler? „Manche wissen gar nicht, dass sie gerade mitmachen“, sagt die Lautsprecherstimme, „das ist ja das Schöne.“
Während die Grenzen zwischen Performance-Kunst und Realität verschwimmen, wird so mancher Besucher unbemerkt zum Kammermusikfan.