Witten.

Letzte Woche spendete SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier seiner Frau eine Niere. Auch Marianne Paluchs Familie und Freunde würden das für sie tun. Doch die 54-Jährige hätte den Gedanken nicht ertragen, der Spender könne selbst erkranken. Trotzdem arbeitet jetzt ein neues Organ in ihrem Körper.

Am Tag der Organspende, dem 5. Juni 2010, hatten wir bereits über die nierenkranke Frau berichtet. Zufällig genau an diesem Tag bekam sie auch den lang ersehnten Brief: „Darin stand, dass ich mein ,t’ habe.“ Das steht für „transplantabel“ und bescheinigt Marianne Paluch, dass sie alles getan hat, um fit für eine neue Niere zu sein. Von sämtlichen Ärzten musste sie eine Unbedenklichkeitsbescheinigung vorweisen. Zehn Zähne ließ sie sich zum Beispiel ziehen, weil deren Zustand Entzündungen hätte auslösen können.

Gewartet hat sie seitdem nicht auf den Anruf. „Da hätte ich mich zu sehr unter Druck gesetzt.“ Ohnehin ist die Frührentnerin mehr der Typ: „Wenn’s passieren soll, passiert’s.“ Das Telefon klingelte dann überraschend schnell am 18. Juli um 18.43 Uhr. Ihr Dialysearzt Dr. Dimitri Zolotov war dran mit der guten Nachricht, dass ein Organ für sie gefunden sei. Einen Tag später wurde sie im Knappschaftskrankenhaus Bochum fünf Stunden lang operiert. Die neue Niere sitzt rechts im Unterbauch, ist mit der Hand von außen zu fühlen „und hat von Anfang an sofort funktioniert“.

Trotzdem: Das erste halbe Jahr sei die kritische Phase, weiß Marianne Paluch, die nach 18 Tagen schon wieder nach Hause entlassen werden konnte. Ihr Immunsystem arbeitet auf Sparflamme, um das Risiko einer Abstoßung möglichst gering zu halten. Unterm Wohnzimmertisch steht eine schuhkartongroße Kiste mit Medikamenten. Über 20 Tabletten sind fünf Mal am Tag fällig. Im roten Patientenpass notiert Marianne Paluch morgens und abends ihren Blutdruck, vermerkt Gewicht, Temperatur und Trinkmenge – mindestens zweieinhalb Liter sollen es sein. „Ich freue mich jedes Mal, wenn ich auf Toilette kann“, sagt sie, „dann weiß ich, mein Körper funktioniert und wird entgiftet.“

Überall in der Wohnung stehen Flaschen mit Desinfektionsmittel. Zwar hat Marianne Paluch mir zur Begrüßung die Hand gegeben. Ist dann aber dezent in der Küche verschwunden, um sie zu desinfizieren. Und wäre ich erkältet gewesen, hätte das Gespräch ohnehin nicht stattfinden können. Tiere soll sie meiden und ihre Pflanzen stehen nun im Treppenhaus. Weil überall Keime lauern, verlässt sie das Haus nur mit Mundschutz. „Manche Leute gehen dann auf Abstand, weil sie denken, ich hätte was Ansteckendes.“ Das nervt sie fürchterlich.

Fast sieben Wochen lebt Marianne Paluch nun mit ihrer neuen Niere. „Es geht mir absolut gut“, sagt sie. Und, obwohl das „so verdammt pathetisch“ klingt, verspricht sie: „Ich pass da drauf auf, das soll nicht umsonst gewesen sein.“ Über den Spender will sie trotzdem nichts wissen. Doch sei sie ihm dankbar, dass er einen Organspendeausweis hatte. Genau deshalb erzählt sie auch ihre Geschichte. Weil sie den Menschen die Augen öffnen möchte für jene, die auf ein neues Organ angewiesen sind. „In Deutschland wird zu viel Kult mit dem Tod betrieben.“ Ihren eigenen Ausweis musste sie wegen ihrer Erkrankung abgeben. Nun wartet ein neuer auf dem Schreibtisch nur noch darauf, wieder ausgefüllt zu werden.