Witten. .

Die Thesen des Bundesbank-Vorstands Thilo Sarrazin sind provokant, vor allem, was Muslime („Kopftuchmädchen“) angeht.

Das Bundesbank-Vorstandsmitglied vertritt unter anderem die Ansicht, die Ursachen für die schlechte Integration von Muslimen lägen offenbar in der Kultur des Islams.

Keine andere Migrantengruppe sei „so stark wie die muslimische mit Inanspruchnahme des Sozialstaats und Kriminalität verbunden“. Keine andere Religion trete in Europa „so fordernd“ auf, keine andere Gruppe betone in der Öffentlichkeit so sehr ihre Andersartigkeit, „insbesondere durch die Kleidung der Frauen“, so Sarrazin.

Agitation, Provokation oder unangenehme Wahrheiten? 2746 Türken - gemeint ist die erste Staatsbürgerschaft - leben in Witten. „Der Mann sagt einerseits die Wahrheit“, sagt der Annener Gemüsehändler Ufuk Aktipe vom Turhal Market 1 in der Bebelstraße. „Ja, es gibt genug Leute, die das deutsche Sozialsystem ausnutzen. Und diejenigen, die das Geld dringend brauchen, erhalten es nicht und kommen zu kurz.“

Doch Sarrazin habe das ganze zu sehr vereinfacht, so Ufuk Aktipe. „Er hat es zu grob gesagt. Man kann nicht alle Menschen mit schwarzen Haaren über einen Kamm scheren.“ Unter den Wittener Türken gebe es genügend, die jahrelang hier lebten und Steuern zahlten. Ufuk Aktipe beispielsweise hat den Markt in der Bebelstraße seit 1997, und seit 2002 im neuen Geschäft. „Ich bin sofort nach dem Realschulabschluss ins Berufsleben eingestiegen“, erzählt er. „Damals war ich 15 Jahre alt, ich musste meine Familie unterstützen. Zuerst war ich Mechaniker, dann habe ich den Laden hier in Annen aufgemacht.“

Dass ein solcher Lebenslauf nicht für jeden gilt, räumt er ein: „Es gibt schwarze Schafe, die den Staat ausnutzen, und ich kenne Leute, die ihr Geld versaufen. Oder schwarz arbeiten und dem Staat Steuern entziehen. Aber im Arbeitsamt hängen eben nicht nur Ausländer herum, die Hartz IV wollen.“

Wo also ist das Akzeptanzproblem? Zwei Männer stehen in der Bebelstraße, etwas raumgreifend, und unterhalten sich, etwas laut, in einer für mich fremden Sprache, und das um elf Uhr morgens. Italiener sind das nicht, auch keine Griechen, Spanier oder Portugiesen. Necati Karli ist 69 Jahre alt und hat sich seine Rente mit seiner Hände Arbeit bei Thyssen verdient. Sein Neffe Sela Hettin (38) ist schon seit mehreren Jahren arbeitslos.

Beide empören sich über Thilo Sarrazin, „das ist ein Extremist. Wir kennen keinen Türken, der faulenzt.“ Necati Karli lebt in dritter Generation in Deutschland, Sela Hettin ist hier geboren, „mich kann der Mann nicht meinen. Meine Familie wurde damals in der Türkei angeworben und nach Deutschland geholt. Sie hat hier jahrelang Steuern gezahlt. Wenn türkische Jugendliche arbeitslos sind, dann darf man nicht vergessen, dass die Väter genug eingezahlt haben. Und wenn es dann heißt, die faulenzen, das tut mir weh.“

Sela Hettin ist ungelernter Arbeiter mit abgebrochener Berufsausbildung, ist verheiratet und hat drei Kinder. Mit Minijobs schlägt er sich durch. „Früher konnte man einfach zu einer Firma gehen und hat sofort Arbeit bekommen“, erinnert er sich. „Aber die Zeiten sind vorbei. Jetzt muss die Bevölkerung aber auch mal schauen, was ausländische Menschen alles für die Wirtschaft und den Aufschwung in Deutschland getan haben.“