Witten. .

„Willkommen“ steht auf dem schmalen Display über seiner Kasse. Günter Schmittchen begrüßt trotzdem jeden seiner Fahrgäste persönlich – mit einem freundlichen „Morgen!“ Das macht der Wittener schon länger als sein halbes Leben so. Kürzlich ehrte die Bogestra den 59 Jahre alten Busfahrer für dessen 35-jähriges Dienstjubiläum.

„Sind Sie zu früh?“, fragt eine junge Frau, als sie an der Johannisstraße in den Bus 320 Richtung Annen einsteigt. „Nein“, sagt Schmittchen und lächelt. „Pünktlich.“ Er weiß es genau. Die Kurskarte klemmt zwar neben dem Lenkrad. Nach all den Jahren hat er die Uhrzeiten aber im Kopf. 9.48 Uhr Rathaus. 9.52 Johannisstraße. Die Frau ist überzeugt. Also Türen schließen. Lenkrad in beide Hände nehmen. Gaspedal treten.

„Ich konnte gar nichts anderes werden“, scherzt Schmittchen. Bevor er sein siebtes Lebensjahr vollendet hatte, zog seine Familie nach Witten. Die Wohnung lag direkt am Betriebshof der Bogestra. Seine Mutter arbeitete dort als Wagenwäscherin, sein Vater – selbst Busfahrer – hatte ihn schon im Alter von drei Jahren zum ersten Mal mitgenommen. „Auf der Linie 378“, erzählt er.

Schilder unter dem Arm und Busse ohne Servolenkung

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Von DerWesten

Dass er seinem Vater in den Beruf folgte, habe er nie bereut: „Ich liebe meinen Job.“ Und er liebt es, davon zu erzählen. Wo heute ein Knopfdruck den Namen der Buslinie von außen sichtbar macht, habe es Mitte der 70er Jahre nur einen Schilderkasten gegeben. „Die Schilder mussten wir damals unter dem Arm mit uns tragen und da oben reinstecken“, erklärt er. „Das konnte ganz schön schwer sein.“ So wie das Lenken der Busse, für die Servolenkung noch ein Fremdwort war. „Da musste man in den Kurven noch richtig. . . uuh, uuh“, erzählt er und reißt mit seinen Armen ein imaginäres Lenkrad herum.

Überhaupt hat sich einiges getan: In seinen ersten Jahren bei der Bogestra knipste Günter Schmittchen die Fahrscheine seiner Gäste mit der Zange ab. Später gab es einen Stempel. Heute ist es in der Regel mit einem Nicken getan, weil die meisten über ein Abo verfügen. „Bis vor zehn Jahren habe ich auch noch jede Haltestelle selbst angesagt“, erinnert sich der Jubilar. Inzwischen übernimmt das Stefan, der seit einigen Jahren keine Fahrt der 320 verpasst hat. Stefan – so heißt die Computerstimme, die auch so manches Navigationsgerät zum Sprechen bringt.

Gäste erzählten ihm von der „Schande von Gijon“

Nicht verändert hat sich Schmittchens enger Kontakt zu den Menschen. In 35 Jahren ist viel Freude zur Tür herein marschiert, aber auch Trauer, Wut, Enttäuschung. Und so manche Nachricht: „Als die deutsche Fußball-Nationalmannschaft das Skandalspiel gegen Österreich hatte. Wann war das? 1982! Da saß ich am Steuer“, erzählt er. „Und die Leute, die reinkamen haben mir von der ‘Schande von Gijon’ erzählt – davon, wie die deutschen Zuschauer den Spaniern mit den Taschentüchern winkten, weil die ausgeschieden waren.“

Jetzt sind es Renate Töpfer und Tochter Angelika Cagli, die zur Tür hereinkommen – und ein besonders nettes „Morgen!“ ernten. „Ich bin schon als Kind an der Kerschensteiner Straße in den Bus von Herrn Schmittchen gestiegen“, erinnert sich Angelika Cagli. 170 Busfahrer gibt es aktuell in Witten, die 44-Jährige aber ist überzeugt: „Er ist der beste!“

In ein paar Monaten wird sie sagen müssen: „Er war der beste!“ Denn zum 1. Juli geht Schmittchen – dann 60 – in Rente. Was er danach mache? „Ich habe einen Wohnwagen und eine Dauerkarte beim BVB“, erzählt er. Den Eindruck, die Tage bis zum 1. Juli zu zählen, macht er aber nicht.