Witten. Aus der Sonder- wurde eine Förderschule. Die Pestalozzischule feiert ihren runden Geburtstag. Und eine Lehrerin der ersten Stunde erinnert sich.

Lehrer, Schüler und Gäste sangen deutsches Liedgut, Mädchen in weiten Röcken tanzten Volkstänze. Gertrud Stapperfenne war an jenem 25. Februar mittendrin. Die Erinnerungen der früheren Lehrerin an die Einweihungsfeier der Pestalozzischule sind ausgedünnt. Kein Wunder, immerhin feiert die Sonderschule, die inzwischen Förderschule heißt, am Donnerstag ihren 50. Geburtstag.

„Das war schön”, sagt die 85-jährige. „Die Kinder freuten sich, in solch einer schönen Schule zu sein. Und ich auch.” Seit ihrer Pensionierung 1983 ist sie selten hier gewesen. Das Oberstufengebäude habe es damals nicht gegeben, sagt sie, als sie am Montag wieder zu Besuch kommt. Auch ein paar Spielgeräte im Garten seien dazu gekommen.

1900 entstand erste Hilfsklasse

Michaela Lohrmann, seit über fünf Jahren Schulleiterin, führt sie herum. „Auch für mich ist es spannend, in den alten Büchern und Fotos zu stöbern”, sagt Lohrmann, während sie ein Schwarz-Weiß-Foto in der Hand hält, das Gertrud Stapperfenne 1960 mit dem Kollegium zeigt.

Schon 1900 entstand die erste Hilfsschulklasse in den Räumlichkeiten der Breddeschule, 1911 folgte der Umzug ins Museum an der Hauptstraße. Aber erst 1960 wurde die Pestalozzischule, wie man sie heute kennt, an der Husemannstraße eingeweiht.

Drei Förderschwerpunkte

Marcel (li.) und Robert toben im neuen Klettergerüst. Es ist ein Geburtstagsgeschenk von Rotary Club und Vinzenz-Konferenz.
Marcel (li.) und Robert toben im neuen Klettergerüst. Es ist ein Geburtstagsgeschenk von Rotary Club und Vinzenz-Konferenz. © Foto: Tanja Schneider / WAZ Foto Pool

Heute betreuen 35 Lehrer etwa 210 Kinder von sechs bis 18 mit den Förderschwerpunkten Lernen, Sprache und emotionale sowie soziale Entwicklung. Geduld – das sei die wichtigste Voraussetzung für die Lehrer. Warum, das wird klar, als Thomas Kopf um halb elf zum Sportunterricht bittet. Es ist eine dritte Klasse für Kinder mit Entwicklungsstörungen. Nur vier Schüler gehören ihr an. Sie wirken nervös, stellen viele Fragen. Als ein Junge einen Mitschüler tritt, muss Thomas Kopf eingreifen: Gelbe Karte. „Bei einer roten Karte geht es in den Trainingsraum”, erklärt Lohrmann. Das Kind soll dann sein Verhalten niederschreiben. Am Morgen musste ein Junge das Fenster putzen, nachdem er es angespuckt hatte. Als Höchststrafe empfinden es die Schüler, eine Entschuldigung zu schreiben. Das sah vor 50 Jahren sicher anders aus. „Zwei Stockschläge” ist da als Strafe in einem Schulprotokoll vermerkt – weil ein Junge einen anderen bis zur Atemnot gewürgt hatte.

Die Angst hinter der Wut

Bei einer eigenen Ausstellung haben sich die Schüler mit dem Thema Wut beschäftigt. „Eins habe ich in all der Zeit gelernt”, sagt Lohrmann, die seit 18 Jahren an der Schule unterrichtet, und zitiert einen bekannten Satz: „Hinter meiner Wut steckt meine Angst. Hinter meiner Angst steckt meine Liebe. Manchmal muss man aber tief graben.”

Genau das tut die Schule nun schon seit 50 Jahren. Den runden Geburtstag feiert der Jubilar Anfang Juli mit einer Projektwoche. „Am Donnerstag machen wir es uns einfach gemütlich”, verrät Michaela Lohrmann. Ohne Volkstänze. Vielleicht mit etwas deutschem Liedgut. Und ganz sicher mit leckerem Kuchen.

In der WAZ und der WR beschäftigen wir uns am Dienstag außerdem mit der aktuellen Frage: Die Förderschule - ein Auslaufmodell?