Witten. Hildegard Priebel arbeitet für das Stadtmarketing - und begleitet Menschen aus aller Welt. Kurz vor dem Welttag des Fremdenführers haben wir mit ihr einen Rundgang gemacht. Wieso sie früher ihren Lehrer anhimmelte und heute selbst Heiratsanträge erhält.
Als Hildegard Priebel in die erste Klasse ging, wollte sie Hans-Ulrich Hake heiraten, ihren Lehrer. „Er hat so viele schöne Dinge von der Heimat erzählt”, erinnert sie sich. „Damit hat er mich infiziert.” Heute erzählt sie selbst gerne von ihrer Stadt, in der sie einst im Diakonissenhaus den ersten Ton von sich gab. Hildegard Priebel arbeitet seit zwölf Jahren als Fremdenführerin für das Stadtmarketing – und hat im Jahr der Kulturhauptstadt besonders viel zu tun.
Der Tag beginnt um vier Uhr
Als sie mich um halb elf auf der Treppe des Rathauses zu einer Privatführung erwartet, ist ihr Tag schon einige Stunden alt. Um vier Uhr, wenn der Rest der Welt noch schläft, beginnt ihre Lesezeit. Dann saugt sie historische Bücher wie Kriminalgeschichten auf, um sie später in ihren Führungen weiterzugeben. „Ich will nicht nur erzählen, sondern auch belegen”, sagt Priebel, die in allen Archiven zu Hause scheint. Um sieben dann geht es in Joggingschuhen auf den „Rheinischen Esel”. Zehn bis 15 Kilometer, jeden Tag. Ihr Alter bleibt ihr Geheimnis. „Mein Leben ist so schön, so reichhaltig.” Nur das zähle.
Hildegard Priebel redet viel. Zuweilen entschuldigt sie sich gar. „Jetzt quatsche ich Sie wieder voll”, lacht sie dann. Doch man bittet sie weiterzumachen. So begeistert und begeisternd berichtet sie, stets mit gestischer Untermalung, teils schon mal im Kostüm der Unternehmerin Helene Lohmann, wo drei Korkenzieher unter der Haube hervorlugen.
Gab das Schwein dem Muttental seinen Namen?
Bustour nach Wetter
Am Sonntag, dem Welttag des Fremdenführers, geht Hildegard Priebel nur als Gast auf eine Kunstführung.
Am Wittener Hauptbahnhof startet an diesem Tag um 10 Uhr eine Tour nach Wetter - zu den Ursprüngen des Bergbaus. Leiter sind Joachim Michaelis, Bergmann aus Bochum, und Steffi Strauß, Kunstpädagogin aus Dortmund. Anmeldungen sind nicht mehr möglich.
Ihr Steckenpferd, so sagt sie selbst, sind die geologischen Führungen im Muttental. „Viele denken ja, der Name stammt von der Mutte, einem Schwein, weil eine solche einst die Kohle erschnüffelt haben soll.” Blödsinn, sagt Priebel. Er stamme vom Muthen, der Pflicht, einen Flöz anzumelden. „1826 wurde das Muttental noch mit 'th' geschrieben.”
Hildegard Priebel hangelt sich an Daten wie diesem entlang, entdeckt an jeder Ecke eine Geschichte. Sie erzählt vom letzten Hexenprozess, der 1647 gegen Arndt Bottermann geführt wurde. Dass er gefoltert wurde, wisse man noch. Dann rissen die Protokolle ab. Sie berichtet von der Thiestraße in Herbede, die darauf hinweise, dass dort einst Gericht gehalten wurde. Schließlich heiße Thing übersetzt Gericht. Sie kommt zum Zweiten Weltkrieg und den 91 Angriffen auf Witten. „80 Prozent der Stadt waren damals zerstört, die Luft war schwanger von Staub und Hitze.”
Bücher und Gespräche mit Zeitzeugen
Man hat das Gefühl, sie sei dabei gewesen. Doch ihre Informationen zieht sie neben Büchern auch aus Gesprächen mit Zeitzeugen. „Es ist mir wichtig, die Leute über die Vergangenheit aufzuklären”, sagt sie, während sie vom Turm des Rathauses in die Ferne blickt. „Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen.”
Bei den Besuchern kommt das an. Ein Reiseveranstalter aus Süddeutschland hat sie bereits jetzt bis in den Oktober hinein gebucht. So hat Hildegard Priebel schon Menschen von beinahe allen Kontinenten ihr Witten gezeigt. „Am schwierigsten sind die Asiaten”, sagt sie. „Ihnen sieht man nicht an, ob man sie erreicht, weil sie immer höflich grinsen.” Bei anderen ist das leichter. An die Reaktion eines Kindergartenjungen vor ein paar Jahren kann sie sich noch gut erinnern. „Wenn ich groß bin, heirate ich dich”, habe der gesagt. „Dann kannst du mir jeden Abend was erzählen.”