Für eine Woche flog Katastrophenhelfer Mirko Böhmer (28) ins zerstörte Haiti.
Seine Hände sind kräftig und lassen auf schwere, grobe Arbeit tippen. Dabei hat Mirko Böhmer als OP-Pfleger im Evangelischen Krankenhaus meist filigrane Tätigkeiten zu erledigen. Es sei denn, sein Verein ruft. Dann räumt der 28-Jährige dicke Brocken aus dem Weg. Vor zwei Wochen sind sein Kumpel Christian Ilsen (28) und er mit der Deutschen Erdbebenrettung aus Haiti zurückgekehrt.
Mirko Böhmer tut sich schwer, seine Eindrücke in Worte zu fassen. „Man kann sich das nicht vorstellen”, sagt der Wittener. Er konnte es nicht, als er vor seinem Abflug nach Haiti die Schreckensbilder im Fernsehen sah. Der Betrachter seiner Fotos kann es ebenso wenig. Allein schon, weil die Gerüche nicht transportiert werden. Sie sind ihm am nachhaltigsten in Erinnerung geblieben.
„Überall lag der Geruch von Leichen und Verbrennungen in der Luft”, sagt er. Und dann hat sich da noch das Bild dieses Mädchens in seinem Kopf eingenistet. Die Zweijährige kam mit einem offenen Schädel-Hirntrauma zu der kleinen medizinischen Station, die Böhmer und seine 14 Kollegen in einem Auto am Straßenrand installiert hatten. „Wir haben weder einen Krankenwagen noch Hubschrauber für sie bekommen.” Stattdessen kam eine Meldung der Vereinten Nationen. Die Sicherheitslage habe sich verschlechtert. Schießereien von Banden drohten, und sie müssten weiterziehen.
Für Mirko Böhmer sind das alles neue Erfahrungen. Viele seiner Kollegen haben schon nach dem Tsunami 2004 mitgeholfen. Für Böhmer war ein Fernsehbeitrag dieses Einsatzes der Anlass, sich bei der Deutschen Erdbebenrettung anzumelden. 2005 war er dann nach dem Halleneinsturz in Kattowitz. Aber so etwas. . .
In der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince muss er auch die Erfahrung machen, dass sich nicht jeder Brocken aus dem Weg räumen lässt. An den ersten Tagen ihres gut einwöchigen Aufenthalts kümmert sich die Mannschaft um „Search and Rescue” (suchen und retten). Mit speziellen Kameras und Echophonen fahndet sie nach Überlebenden. Im Wohnhaus des Erzbischofs, der durch das Erdbeben ums Leben kommt. In dem Universitätsgebäude. Und im Mädcheninternat.
Fast immer stoßen die Helfer nur auf „Bodies”, auf die Körper von Toten. Nach einem Nachbeben bittet ein verzweifelter Vater das Helferteam, die Trümmer seines Hauses noch einmal abzusuchen. Bis mittags habe er sein kleines Kind darin weinen gehört. Vom Rettungshund aber ist kein Bellen zu vernehmen. Kein Lebenszeichen.
Als Mirko Böhmer am 23. Januar in einem Lkw mit Fahrtrichtung Dominikanische Republik den Heimweg antritt, beschäftigen ihn gemischte Gefühle. „Ich war froh, wieder zu meiner Familie zu kommen”, gesteht er. „Aber ich habe mich auch geärgert, dass wir erst so spät einen Flug nach Haiti bekommen haben.” Vor dem 16. Januar – und damit vier Tage nach dem Beben – war kein Platz in einem Flugzeug zu bekommen. Vielleicht hätte man mehr Lebende bergen können, ist jetzt einer der Gedanken. Ein anderer ist die Entschlossenheit, sich auch in Zukunft einzusetzen. Schon mit 15 schloss sich Böhmer dem Roten Kreuz an. Seit 2005 ist er bei der Erdbebenrettung. „Wenn irgendwo auf der Welt wieder ein Unglück geschieht”, sagt er, „will ich auf jeden Fall helfen.”