Witten. In Witten gründet sich eine neue Selbsthilfegruppe für Menschen mit Ängsten und Depressionen.

Elf Wochen ist es her, dass sich Fußball-Nationaltorwart Robert Enke vor einen Zug warf. Damals war das Thema Depression in aller Munde. Inzwischen wird darüber kaum noch in der Öffentlichkeit gesprochen. Für Menschen wie Udo Lingnau ist und bleibt es ein Dauerthema. Am Dienstag (2.2.) gründet der 53-Jährige eine neue „Selbsthilfegruppe für Menschen mit Ängsten und Depressionen”.

Udo Lingnau aus Witten hat nach langjähriger Erkrankung eine Selbsthilfegruppe für an Depressionen leidende Menschen initiiert. Foto: Horst Müller / WAZ FotoPool
Udo Lingnau aus Witten hat nach langjähriger Erkrankung eine Selbsthilfegruppe für an Depressionen leidende Menschen initiiert. Foto: Horst Müller / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool

Lingnau selbst leidet seit rund 25 Jahren unter der tückischen Erkrankung. Seit fast zwei Jahren geht es dem gelernten Fernsehtechniker wieder besser. Er hat Klinikaufenthalte hinter sich, viele Medikamente getestet, mit zahlreichen Psychotherapeuten und Psychiatern gesprochen und nun genug Energie gesammelt, seine Idee von einer Selbsthilfegruppe zu verwirklichen. Dabei hilft ihm KISS, die Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe.

Auf Augenhöhe

„Depressive wissen am besten, wie es anderen Betroffenen geht”, weiß der Wittener aus eigener Erfahrung und fügt hinzu: „In der Gruppe kann jeder so sein, wie er ist, mit seiner Krankheit”. Dabei sollen sich alle Teilnehmer auf Augenhöhe treffen. Lingnau selbst sieht sich nur als Initiator, nicht als Leiter. „Die Gruppe ist ein Gebilde. Es gibt keinen Chef.”

Es gibt auch nicht die eine Definition von Depression, das steht für ihn fest. „Jeder empfindet die Krankheit anders.” Doch ein Grundzug, der bei allen Erkrankten auftaucht, sei eine „Angst, die sich auf nichts richtet, sie ist einfach da”. Und genau das macht die Erkrankung so tückisch. „Man weiß dann nicht, wovor man sich schützen soll”, versucht Udo Lingnau eine Krankheit zu erklären, die man erst verstehe, wenn man unter ihr leidet. „Reiß dich mal zusammen” – das sei so ziemlich das Schlimmste, was man Depressiven sagen kann. „Es fehlt die körperliche Kraft, um etwas zu tun.”

Wenn Lingnau auf die vergangenen Jahrzehnte zurückblickt, erzählt er selbstbewusst, ruhig und reflektiert. Früher, sagt er, „da war der Antrieb nicht mehr da”. Er habe keinen Sinn mehr in den Dingen gesehen. Über Geburtstagsgeschenke konnte er sich nicht mehr freuen. Zudem versagte die Konzentration, was besonders fatal im Beruf war. „Selbst lesen und schreiben konnte ich nicht mehr in den ganz schlimmen Phasen.” Dann ernähre sich die Depression von sich selbst – durch Frust, Ärger und Selbstzweifel und auch durch „die Nicht-Gefühle”, wie er es nennt.

Winzige Hoffnungsschimmer

Irgendwann fand der Wittener ein, zwei Psychiater, denen er vertraute. Auch seine Ehefrau hielt in all den Jahren zu ihm. „Dafür danke ich ihr sehr. Sie hatte es schwer. Denn was soll man mit jemandem machen, der nicht isst, nicht fernsieht, nicht spazieren geht und noch nicht einmal Lust hat, sich zu unterhalten.”

Hoffnungslos fühlte er sich vor allem, „weil die Krankheit so viele Jahre andauert”. Aber jetzt kann er sagen: „Ich habe das durchgestanden.” Diesen winzigen Hoffnungsschimmer, der ihn bis heute getragen hat, will Udo Lingnau nun in die neue Selbsthilfegruppe pflanzen.

Durch Besuche in anderen Gruppen und viele Chatsituationen im Internet hat Lingnau ein Gefühl dafür entwickelt, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Worte auch für andere zu finden. Das heißt für ihn nicht, in tiefes Mitleid zu verfallen. „Mir hat es auch einmal geholfen, dass ein Arzt etwas forscher aufgetreten ist, als ich mal allzu hängelig war”.