Witten/Herdecke. In Witten hat eine Einrichtung der Jugendhilfe eröffnet. Im „Mädchenhaus Mäggie“ wohnen Jugendliche in coolen Lofts und lernen Selbstständigkeit.
Gerade ist es wieder Thema: Das Jugendamt hat immer häufiger Schwierigkeiten, Kinder und Jugendliche in Wohngruppen und Heimen unterzubringen – weil Plätze fehlen. Wie gut, dass im Wittener Wiesenviertel jetzt eine neue Einrichtung für traumatisierte Mädchen eröffnet. Das Projekt „Mäggie 2“ des Vereins Vive Žene ist ein Gutes – und muss gleichzeitig für seine Finanzierung kämpfen.
Noch in diesem Monat dürfen sechs Bewohnerinnen einziehen – sofern das zuständige Jugendamt Herdecke die Finanzierung absegnet und die Betriebserlaubnis erteilt. Die sechs Betreuerinnen, die sich um diese ungewöhnliche WG kümmern werden, haben bereits ihre Arbeit aufgenommen. Bald werden Jugendämter aus NRW ihnen „Gäste“ zuteilen. Bis dahin haben Einrichtungsleiterin Tanja Riedel, Antonia Ament, Lisa Richter, Laura Nitz, Helena Krenzer und Stefanie Krefter sich kennengelernt, ein Konzept erarbeitet und die Wohnung in der Wiesenstraße 14 eingerichtet.
Senioren-WG lief nicht gut
Jede Bewohnerin bekommt in dieser umgebauten Fabrik ein eigenes kleines Apartment mit Küchenzeile und Bad. Mittendrin gibt es eine große Gemeinschaftsküche – falls man doch Geselligkeit möchte. Immobilienbesitzer Maik Rudolph ist ganz begeistert von der hübschen und fröhlichen Einrichtung.
Die 300 Quadratmeter große Wohnung wurde erst von Studierenden bewohnt, die aber während der Corona-Lockdowns kündigten und auszogen. Es folgte eine Senioren-WG, die nicht genug Bewohner fand. Rudolph meldete sich beim Dortmunder Verein Vive Žene. „Was für ein Zufall! Wir hatten unsere Pläne für ein zweites Mädchenhaus längst aufgegeben, weil wir keine passende Immobilie fanden“, berichtet Psychologin und Vorstandsmitglied Gabriele Krämer.
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In „Mäggie 2“ werden Mädchen zwischen 14 und 21 Jahren einziehen, die das Jugendamt entweder aus den Familien nimmt oder die auf eigenen Wunsch von ihrer Familie weg möchten. Die Gründe sind vielschichtig. Teilweise sind sie schon als Kleinkind vernachlässigt worden, haben nie Liebe erfahren, fühlen sich minderwertig, haben Bindungsstörungen und Ängste. In „Mäggie 2“ sollen sie den Schritt ins eigene Leben lernen. Cornelia Suhan, Vorsitzende von Vive Žene, bezeichnet das Haus als Einrichtung zur „Verselbstständigung“.
Es gibt nämlich seit 2016 auch das Haus Mäggie 1, das im ländlichen Teil Herdeckes liegt. Die Frauen von Vive Žene aber haben erfahren müssen: Selbst Mädchen, die sich toll entwickelten, haben den Schritt in die Selbstständigkeit nicht geschafft. Die psychischen Probleme wurden so groß, dass sie Ausbildung oder Schule abbrachen und nicht alleine klarkamen.
Darum also „Mäggie 2“ – mitten in einer Stadt, mit allen Verlockungen vor der Tür und dem Schutz einer gemütlichen WG. Etwa ein halbes bis maximal zwei Jahre können die Mädchen hier wohnen. Die Erfahrung hat gezeigt: Insbesondere nachts sind die Mädchen froh, wenn sie mit jemandem sprechen können. Ziel ist es, die Bewohnerinnen zu stabilisieren, damit sie bestenfalls Schule oder Ausbildung schaffen.
Trägerverein musste in Vorleistung gehen
Der Verein Vive Žene hat viel in „Mäggie 2“ investiert. Die Miete und die Personalkosten muss der kleine Verein seit vielen Monaten vorfinanzieren, da die Arbeit noch nicht aufgenommen wurde. Die Verhandlungen zum Betreuungssatz, den das Jugendamt später für jedes Mädchen zahlt, laufen noch. „Wir sind fertig und könnten jederzeit loslegen“, betont Cornelia Suhan.
1993 in Bosnien gegründet
Der Verein „Vive Žene“, übersetzt: „Frauen lebt“, hat sich 1993 im ehemaligen Jugoslawien gegründet und zahlreiche Projekte in Bosnien auf die Beine gestellt. Inzwischen arbeitet der Verein mehr in Deutschland. 2016 wurde das Mädchenhaus Mäggie in Herdecke eröffnet. Das ist eine intensivpädagogische Einrichtung der stationären Jugendhilfe für Mädchen zwischen 12 und 18 Jahren. Sie haben oft Vernachlässigung, Vergewaltigung oder Gewalt erlebt.
Vive Žene finanziert sich vorwiegend aus Spenden. Mehr Infos: vive-zene.de.
Der Vorstand – alles Mitsechzigerinnen, die komplett ehrenamtlich arbeiten – findet es absurd, dass Einrichtungen wie diese dringend gebraucht, aber nicht finanziert werden wollen. „Die sozialen Probleme in unserem Land werden immer größer. Und die Jugendhilfe fängt Dinge auf, die an anderer Stelle verpasst wurden“, sagt Agnes Bernzen. „Wir brauchen dringend mehr Unterstützung der Politik.“
An den Mitarbeiterinnen will Vive Žene nicht sparen. „Die Arbeit ist sehr belastend, deswegen braucht es Wertschätzung und ein entsprechendes Gehalt.“ Alle Mitarbeiterinnen, meist studierte Sozialarbeiterinnen, bekommen eine traumapädagogische Weiterbildung. „Wir haben einen hohen fachlichen Anspruch“, erklärt Gabriele Krämer. „Sonst wäre unser Haus im Leben dieser Mädchen nur eine weitere Durchgangsstation.“