Witten. Vonovia erprobt in Witten die serielle Sanierung – Verzögerungen inklusive. Die neue Außenhülle soll Heizkosten senken. Wie es bislang läuft.

Mit ihrer glänzenden Außenfassade in beige und dunkelgrau erinnern die Wohnhäuser an der Schulze-Delitzsch-Straße 56 und 58 in Witten auf den ersten Blick eher an einen modernen Bürokomplex als an ein einfaches Mehrfamilienhaus. Und sie wirken auch ein wenig fehl am Platz zwischen den anderen Bestandsgebäuden der Siedlung, deren Fassaden von ihrem schon langen Bestehen zeugen.

Seit April saniert der Wohnungsriese Vonovia in Heven insgesamt 112 Wohnungen, die beiden von außen fertigen Häuser waren der erste Bauabschnitt. Und die neuen Fassaden sehen nicht nur schick aus, sondern bringen so einige Vorteile mit sich: Sie werden durch eine spezielle Wabenstruktur in ihrem Inneren künftig die Häuser im Sommer gegen Hitze abschirmen, im Winter dagegen Wärme speichern. Je nach Lage sind auch Solarpanels verbaut. Die ehemaligen Balkone wurden ebenfalls eingehaust und können von den Mieterinnen und Mietern nun wahlweise als Wintergarten oder Loggia genutzt werden.

Komplett verwandelt: die Häuser an der Schulze-Delitzsch-Straße 56/58 in Witten-Heven sind seriell saniert worden und haben eine neue Außenhülle bekommen.
Komplett verwandelt: die Häuser an der Schulze-Delitzsch-Straße 56/58 in Witten-Heven sind seriell saniert worden und haben eine neue Außenhülle bekommen. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

„Energiesprong“-Verfahren aus den Niederlanden

Vonovia nutzt in Heven das sogenannte „Energiesprong“-Verfahren, das aus den Niederlanden stammt. Dabei werden die Gebäude vorab dreidimensional vermessen, dann werden die einzelnen Stücke der neuen Außenhaut auf den Millimeter genau angefertigt – und schließlich nach und nach von außen an die schon bestehende Hauswand angebracht. „Das ist alles ganz präzise vorgeplant“, sagt Projektleiter Serkan Kablan. Die Montage der einzelnen Teile dauere daher pro Bauabschnitt nur etwa drei Wochen.

Nach der Sanierung verbessern sich die Gebäude von Energieeffizienzklasse E auf A+. Denn neben der neuen Außenhülle werden die Gebäude auch mit einer Solaranlage auf dem Dach und jeweils einer Luft-Wärmepumpe ausgestattet. Im Idealfall soll das Haus so im Laufe eines Jahres in etwa so viel Energie verbrauchen wie es selbst erzeugt und damit klimaneutral sein.

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30 Zentimeter dicke Außenhülle

Die einzelnen Teile der neuen Fassade bestehen aus Glas, Holz und Zellulose. In ihnen sind auch bereits die Fenster und spezielle Lüftungen verbaut. Bis zu neun Meter lang und 2,5 Tonnen schwer ist eines dieser vorgefertigten Bauteile. Damit die auch halten, werden vorab spezielle Verankerungen in die bestehende Hauswand gebohrt. Rund 30 Zentimeter dick ist die Hülle.

Die Fenster liegen in den sanierten Vonovia-Häusern nun durch die zusätzlich angebrachte Außenfassade deutlich tiefer als zuvor. Die weißen Kacheln zeigen, wo früher die Wand endete.
Die Fenster liegen in den sanierten Vonovia-Häusern nun durch die zusätzlich angebrachte Außenfassade deutlich tiefer als zuvor. Die weißen Kacheln zeigen, wo früher die Wand endete. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Derzeit sind die Arbeiter an den Häusern Damaschkestraße 17 und 19 zu Gange, eins davon siebenstöckig. Schon nächste Woche will man damit fertig sein. Im letzten Abschnitt ist dann der lange Gebäuderiegel der Schulze-Delitzsch-Straße 48-54 vorgesehen – inklusive eines achtstöckigen Hauses. Vonovia peilt derzeit an, die gesamte Baumaßnahme bis Mitte 2024 komplett abgeschlossen zu haben. Das umfasse auch das Wohnumfeld.

Das „Energiesprong“-Prinzip werde in Witten zum ersten Mal deutschlandweit bei einem achtgeschossigen Mehrfamilienhaus angewendet, betont das Wohnungsunternehmen. Doch Bauleiter Kablan ist zuversichtlich. Mit den Erfahrungen, die man bisher gesammelt habe, gehe er nicht davon aus, bei der Sanierung des hohen Gebäudes auf Probleme zu stoßen.

Die Häuser an der Schulze-Delitzsch-Straße 48 bis 54 sind als nächstes an der Reihe. Erstmals wird dann nach Angaben von Vonovia in Deutschland ein achtstöckiges Gebäude seriell saniert.
Die Häuser an der Schulze-Delitzsch-Straße 48 bis 54 sind als nächstes an der Reihe. Erstmals wird dann nach Angaben von Vonovia in Deutschland ein achtstöckiges Gebäude seriell saniert. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Nacharbeiten haben sich deutlich verzögert

Wenn die neu Außenhülle steht, geht es an die Nacharbeiten. So müssen etwa die ehemaligen Fenster herausgebrochen werden. Dafür müssen die Bauarbeiter erstmals auch in die Wohnungen der Mieter. „Aber das ist in drei Tagen erledigt“, sagt Bauleiter Kablan. Allerdings hat es bei den Nacharbeiten teils erhebliche Verzögerungen gegeben. Mit ein Grund war nach Angaben von Vonovia, dass im Zuge der Fensterarbeiten aufgefallen sei, dass die Fensterstürze leider einbetoniert waren. In den beiden Gebäuden, die seit April saniert werden, sind die Innenarbeiten auch jetzt noch nicht ganz abgeschlossen.

Vonovia hatte im letzten Jahr in Bochum erstmals das „Energiesprong“-Verfahren bei drei Wohnhäusern angewendet. Dennoch sei auch das Projekt in Witten für Vonovia ein Pilotprojekt, betonte der Vorstandsvorsitzende Rolf Buch kürzlich gegenüber der Deutschen Presse Agentur. Trotz Fördermitteln rechne sich solch eine Sanierung für das Unternehmen aber derzeit noch nicht. Man wolle weiter ausprobieren und in anderen Siedlungen andere Techniken testen. In die Modernisierung in Heven fließen insgesamt 15,6 Millionen Euro.

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Zwei Euro mehr pro Quadratmeter

Doch was bedeuten die hohen Kosten für die Mieter? Vonovia will für die Modernisierung eine Umlage in Höhe von zwei Euro pro Quadratmeter berechnen. Bei Wohnungsgrößen von 75 Quadratmetern kommen auf die Mieter so zusätzliche Ausgaben von 150 Euro monatlich zu. „Wir gehen aber davon aus, dass die Bewohner ganz erheblich bei den Heizkosten sparen können“, betont Vonovia-Regionalleiter Björn Freytag. „Erfahrungswerte aus Österreich zeigen, dass es da 85-93 Prozent Einsparung gibt.“

Björn Freytag (l.), Regionalleiter bei Vonovia und Serkan Kablan, Projektleiter, vor einem Wandpanel für die Häuser an der Damaschkestraße 17/19 in Witten. Die Gebäude werden energetisch saniert.
Björn Freytag (l.), Regionalleiter bei Vonovia und Serkan Kablan, Projektleiter, vor einem Wandpanel für die Häuser an der Damaschkestraße 17/19 in Witten. Die Gebäude werden energetisch saniert. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

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Zwar werde es vermutlich kein Nullsummen-Spiel, aber die effektiven Mietsteigerungen würden minimal sein, so der 43-Jährige. Zudem seien die Wohnungen in Heven nach der Sanierung im Bezug auf das Raumklima mit die besten im Bestand der Vonovia. „Aber bei uns muss niemand ausziehen, weil wir sanieren.“ Bei Härtefällen werde zusammen mit den Mietern nach einer Lösung gesucht.

Die Deutsche Energie-Agentur (Dena), ein bundeseigenes Unternehmen, das die Energiewende und Klimaschutz vorantreiben soll, bezeichnet serielles Sanieren als „Schlüsseltechnologie für die Wärmewende“. Das „Energiesprong“-Prinzip sei bereits tausendfach umgesetzt worden. In Deutschland allerdings noch nicht so zahlreich: Laut Dena wurden hierzulande bislang 49 „Energiesprong“-Projekte fertiggestellt, 25 sind derzeit im Bau. Vonovia selbst plant derzeit zwei weitere Quartiere im Ruhrgebiet auf diese Weise zukunftsfähig zu machen.

Mieterverein kritisiert Verzögerungen

Der MieterInnenverein Witten begrüßt die energetische Sanierung grundsätzlich. Negativ auf stößt dem Verein aber, dass die Wohnungen durch die dicken Dämmungen und die Einhausung der Balkone wesentlich dunkler geworden seien. Darüber seien die Anwohner im Vorfeld nicht ausreichend informiert worden. Auch sei es bei der Umsetzung zu zahlreichen Überraschungen und Fehlern zu Lasten der Mieterinnen und Mieter gekommen.

So habe etwa der Austausch der Fenster und Fensterbänke für viele Wochen geruht – und ruhe teils heute noch. Auch hätten einige Mieter ihre eingehausten Balkone monatelang nicht betreten dürfen, weil Nachbesserungen an den Installationen erforderlich waren. Das Unternehmen verweist darauf, die Mieter schon im Ankündigungsschreiben darauf hingewiesen zu haben, dass sie die Balkone bis zur Fertigstellung aus Sicherheitsgründen nicht nutzen können.

Der Mieterverein erwartet zudem, dass der Wohnungskonzern bei Neuvermietungen deutlich an der Preisschraube drehen und die Kaltmiete teurer machen wird.

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