Witten. An dieser Kunst kommt kein Saalbaugast in Witten vorbei. Denn das Foyer hat sich in ein Schiff verwandelt. Und das „Ruhr Ding“ zeigt noch mehr.
Wenn sich der Saalbau in ein Kreuzfahrtschiff verwandelt, sich im Märkischen Museum Pole-Tänzerinnen digital an den Stangen räkeln und selbst im Wasserwerk in Bommern moderne Kunst über die Leinwand flackert, dann ist das „Ruhr Ding“ zu Gast in Witten. Die große Ausstellungsreihe, die alle zwei Jahre im Revier stattfindet, ist mit ihrem dritten und letzten Teil erstmals auch nach Witten gekommen – und das gleich an sieben verschiedenen Spielorten.
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Wer alle sieben besuchen will, der könnte im Saalbau starten. Man sieht schon von weitem, dass dort etwas Ungewöhnliches vor sich geht. Ein großer Oktopus thront draußen auf dem Foyer, reckt seine Arme übers Vordach. Im Tageslicht wirkt die acht Meter hohe und 30 Meter breite durchsichtige Kunststoffkrake vielleicht buchstäblich ein wenig farblos. Doch bei Nacht erwacht sie zu neuem Leben. Dann strahlt die aufblasbare, begehbare Meereskreatur in bunten Tönen – schön und unheimlich zugleich.
Rettungsringe hängen im Wittener Saalbau
Bringen wir uns lieber in Sicherheit und gehen an Bord, rein in den Saalbau. Den hat die Wiener Künstler-Gruppe „God’s Entertainment“ zu einem Kreuzfahrtschiff umgestaltet. Das Foyer ist das Oberdeck. Liegestühle stehen rund um den fast echten Pool. Handtücher liegen auf der Brüstung. Bullaugen an den Wänden gaukeln täuschend echt den Blick aufs Meer vor. Im Aquarium am Treppenaufgang schwimmen bunte Fische.
Dort wer genau hinschaut, dem dürfte das Schmunzeln im Halse stecken bleiben. Denn in der Leichtigkeit liegt Tiefe. Die Fische sind nichts als bunte Köder. Die türkise Wasserwand, die so schön ans Ozeanblau schimmert, besteht aus Plastikflaschen und die Rettungsringe sind bei näherer Betrachtung Schlangen, die sich selbst verschlingen – und ihre schillernden Schuppen Plastikfingernägel. Der Spielautomat dreht sich für 20 Cent tatsächlich. Als Hauptgewinn winkt ein Reisepass für die EU. Denkanstöße ohne erhobenen Zeigefinger.
Denkanstöße zum Umgang mit der Erde
„Wir sind keine Moralapostel“, betont Boris Ceko von der Künstler-Kooperative. Vielmehr wolle man das Publikum auf eine Erlebnisreise mitnehmen, ins Gespräch kommen, die Institution Saalbau neu erwecken. Und ja, auch zeigen, wie wir mit der Natur umgehen, sie uns zu eigen machen und zugleich zerstören. Markensymbole von Puma bis Nestlé sind auf die Deckchairs gemalt. Auf den Liegen steht nachdenkliche Poesie.
Weiter geht’s zum Märkischen Museum. Wer mag, kann hinradeln. Die Radstation ist auf dem Saalbauvorplatz aufgebaut. Das Museum zeigt die Ausstellung „Dancing is the best Revenge“ von Melanie Manchot und damit einen großen Überblick über das Werk der namhaften Foto- und Videokünstlerin, die in London lebt, aber tatsächlich in Herbede geboren wurde.
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Auch ganz neue Arbeiten sind dabei, etwa ihre Bilderserie „Inversions“ – Handstand-Fotos vor Londoner Architektur – und das Video „Golden Girls“, das Bochumer Pole-Tänzerinnen vor dem Auftritt mit einer endlos kreisenden Kamera begleitet.
Gebürtige Wittener entdeckt das Revier wieder
Dieses Video entstand bei den Recherchen für eine Videoarbeit, die Manchot extra fürs „Ruhr Ding“ konzipiert hat und die jetzt in der Werkstadt zu sehen ist: „Liquid Skin“. Mit einer Infrarot-Kamera begleitete die Künstlerin zehn Nachtarbeiter und -arbeiterinnen aus dem Ruhrgebiet an unterschiedliche Orte, vom Club bis in den Keller der Villa Hügel. „Bei meinen Besuchen habe ich das Ruhrgebiet wiederentdeckt“, sagt die 56-Jährige. „Eine hochinteressante Gegend.“
Party zur Eröffnung
Das „Ruhr Ding: Schlaf“ wird am Freitag (5.5.) in Mülheim offiziell gestartet. Alle Standorte in Witten, Essen und Mülheim sind dann ab 11 Uhr geöffnet. Die weiteren Öffnungszeiten bis zum 25. Juni: mi-so (und an Feiertagen) 11-18, Märkisches Museum 12-18 Uhr.
Das Eröffnungswochenende in Witten beginnt am Samstag um 11 Uhr im Saalbau, ab 19 Uhr gibt’s ein Konzert im Oktopus und anschließend eine Party auf dem Kreuzfahrtschiff. Bis zum 25. Juni ist die Schau dann zu sehen. Das Märkische Museum startet Samstag um 16 Uhr offiziell, die Ausstellung bleibt dort bis 24. September.
Von der Werkstadt führt der Weg in den Schwesternpark. Im hügeligen, verwunschen wirkenden Gelände hat die Künstlerin Nora Turato ihre Arbeit „who wants to tell her“ installiert, einen Klang-Parcours, bei dem Aufzeichnungen ihrer Stimme zu hören sind, ohne dass unmittelbar sichtbar wird, woher die Geräusche stammen.
Daten vom Ruhrwasser fließen live in Videoinstallation ein
Doch zurück in die Innenstadt. In den Schaufenstern des verlassenen Kaufhofs stellen die „Urbanen Künste Ruhr“, die Veranstalter der Ausstellungsreihe, die Arbeiten von Joanna Piotrowska vor. Sie zeigt surrealistisch anmutende Szenen aus fotografischen Versatzstücken: Überdimensionale Hände streicheln Baumstämme, in einem Schaufenster entfaltet sich hinter einem senfgelben Vorhang ein dunkles Meer. Bilder wie aus einem Traum.
Ein letzter Abstecher runter an die Ruhr. Im Wasserwerk zeigt Yuri Pattison seine Installation „dream sequence“. In dem Video folgt er dem Weg eines imaginären Flusses von der Quelle bis zur Mündung. Echte Daten von der Filterstation an der Ruhr beeinflussen dabei die gezeigte Landschaft, den Flusslauf und den Klang des selbst spielenden Klaviers im Raum.
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Am Samstag (6.5.) beginnt das „Ruhr Ding“ in Witten, am 25. Juni endet es. Und das spektakulär: Zwölf Stunden läuft die lange Filmnacht im Café Leye. Zwölf Stunden lang werden sich die Urbanen Künste zusammen mit dem „Internationalen Frauen Film Fest“ dann mit dem Schlaf als Motiv im Film auseinandersetzen. Denn „Schlaf“ ist schließlich der Titel dieses dritten und letzten „Ruhr Dings“. Die Beiträge in Witten lassen das kaum ahnen. Verschlafen wirkt hier gar nichts.