Witten. Bleiben Sie in Bewegung – und hüpfen Sie täglich! Das waren zwei Ratschläge der Experten beim WAZ-Medizinforum zur Altersmedizin im EvK Witten.
Mobil und selbstständig bleiben bis ins hohe Alter, das wünschen sich viele. Beim WAZ-Medizinforum in Evangelischen Krankenhaus Witten (EvK) erklärten Mediziner sowie Experten aus Therapie und Pflege jetzt, wie das gelingen kann – und warum man dabei keine Scheu vor dem Aufenthalt in einer geriatrischen Klinik haben sollte.
Die Scheu gibt es, längst nicht jeder Patient ist mit einer Einweisung auf die Geriatrie einverstanden. Der eine fühle sich mit 70 Jahren noch zu jung, der andere mit 80 noch zu fit, erklärte Chefarzt Stephan Ziemke am Mittwoch (5.10) den 50 Zuhörerinnen und Zuhörern beim ersten Wittener Medizinforum nach der Coronapause.
Er könne er nur dringend empfehlen, frühzeitig bei den Altersmedizinern vorstellig zu werden, so Ziemke. „Mit den Kindern gehen Sie zum Kinderarzt, weil die eine andere Behandlung, anderen Zuspruch und andere Medikamente brauchen.“ Das sei bei Senioren nicht anders. „Die Standardbehandlung ist bei älteren Menschen oft nicht zielführend.“
Rundumpaket Tagesklinik
Auch die aktivierende Pflege ist ein wichtiger Bestandteil der geriatrischen Versorgung. Das erklärte Nicole Köthemann, die Leiterin der Tagesklinik, beim Medizinforum. Sie helfe dabei nicht nur bei der Mobilisierung der Patienten, sondern stehe auch den Angehörigen etwa mit Pflegekursen zur Seite.
Die Tagesklinik biete älteren Patienten zudem ein „Rundumpaket“ zum Fitwerden – und das ohne Krankenhausaufenthalt.
Team im EvK Witten will die Patienten gemeinsam wieder mobil machen
Egal, ob der Patient mehrere Vorerkrankungen hat oder eigentlich gesund ist und sich nur beim Sturz vom Rad den Oberschenkelhals gebrochen hat: Senioren seien immer Risikopatienten, sagte der Chefarzt. Und es bestehe stets die Gefahr, dass sie nach einem Klinikaufenthalt nicht mehr in ihren Alltag zurückkehren könnten – weil Körper oder Seele nicht mehr mitspielen. Genau da setze die Geriatrie an. Ziemke: „Das Besondere ist: Wir arbeiten in einem großen Team.“ Im engen Zusammenspiel von Ärzten, Therapeuten und Pflege werde der ältere Patient so mobil gemacht, dass er anschließend möglichst wieder eigenständig leben könne oder zumindest fit genug für eine Reha sei.
Mobil sein bedeute dabei mehr, als Bett und Wohnung verlassen zu können, betonte Oberarzt Dr. David Minwegen. Mobilität sei vielmehr die Grundlage für den Erhalt der Selbstständigkeit. „Und vor allem bedeutet Mobilität auch Teilnahme am sozialen Leben.“ Ohne die hätten Patienten eine deutlich schlechtere Prognose, so der Neurologe.
Stürze sollten vom Arzt abgeklärt werden
Mobil bleiben heiße aber auch, Stürze zu vermeiden. Minwegen appellierte daher dringend an die Zuhörerinnen und Zuhörer, jedes Hinfallen ernstzunehmen. Alle elf Sekunden werde ein älterer Patient nach einem Sturz in einer Notaufnahme behandelt. Doch oft würde das Hinfallen leichtfertig abgetan. „War doch nur eine Teppichkante. . .“ Dabei seien die Gründe für Stürze vielfältig. Krankheiten wie Parkinson oder Arthrose könnten ebenso dahinter stecken wie etwa eine falsche Medikamenteneinstellung oder Sehfehler. „Sprechen Sie mit Ihrem Arzt darüber – viele Ursachen sind gut behandelbar“, sagte der Oberarzt.
Manche Risikofaktoren für einen Sturz könne jeder aber auch rasch selbst aus der Welt schaffen: Nicht genug Licht am Bett, wenn man nachts raus muss, seien ebenso gefährlich wie Schlappen ohne Riemchen. Auch wenn es vielleicht schwerfalle, die Schnalle am Schuh zu schließen: „Bedenken Sie, es bricht nicht nur ein Knochen, es bricht noch viel mehr“, sagte Minwegen. Es bricht das Selbstbewusstsein: Aus Angst, wieder zu fallen, würden sich die Senioren nicht mehr trauen zu laufen. Dadurch würden die Muskeln schwächer, die Sturzgefahr steige. Minwegen: „Ein Teufelskreis – also lassen Sie Stürze vom Arzt abklären und bleiben Sie in Bewegung.“
Oberschenkelhals wird zur Sollbruchstelle
Bewegung hilft aber nicht nur dabei, das Sturzrisiko zu verringern. Sie sorgt auch dafür, dass die Knochen stabil bleiben. Das erklärte Linus Paelke, der Leiter des therapeutischen Teams am EvK, das aus 20 Physio-, Ergo- und Logotherapeuten sowie Masseuren besteht. Und stabile Knochen seien wichtig. Denn spätestens mit 65 oder 70 Jahren setze der Muskel- und Knochenabbau im Körper automatisch ein. Dann steige bei Stürzen wiederum das Risiko für Brüche. „Der Oberschenkelhals sinkt durch das eigene Körpergewicht im Laufe der Jahre ohnehin ab. Dann wird er poröser und schließlich quasi zur Sollbruchstelle bei einem Sturz“, so der Therapeut.
Um etwas dagegen zu tun, sollten Senioren zwei- bis dreimal in der Woche trainieren. Das müsse nicht im Fitnessstudio sein. Spazieren gehen, Tanzen, Rad fahren oder Yoga seien im Kampf gegen die Osteoporose, also den Knochenschwund, genauso zielführend. Nur regelmäßig müsse es sein, so Paelke. „Alle Funktionen im Körper sind so stark, wie sie genutzt werden.“ Auch wenn es zunächst schwerfalle, sollte man dranbleiben. „Versprochen: Wenn wir regelmäßig trainieren, werden wir besser. Aber wenn wir aufhören, auch gleich wieder schlechter.“
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Einen ganz praktischen Tipp für daheim gab der Therapeut den Zuhörern am Ende noch mit auf den Weg. „Hüpfen Sie!“ Denn schon zehn kleine Sprünge hintereinander am Tag würden nachweislich helfen, den Knochenaufbau anzuregen.