Witten. In Witten hat die in der Ukraine sehr bekannte Sängerin Lubov Vogel Zuflucht gefunden. Ein Gespräch über Musik, ihre Heimat und zwei Katzen.

In ihrer Heimat ist Lubov Vogel eine gefeierte Sängerin, der erste Staatspräsident der Ukraine zeichnete sie mit einem hohen Orden des Landes aus. Jetzt lebt die 42-Jährige in Witten. Im Interview spricht die aus der Stadt Cherson stammende Ukrainerin über Musik, die Flucht nach Deutschland, ihre Familie und über zwei kleine Katzen.

Frau Vogel, gestatten Sie mir anfangs eine Frage zu Ihrem doch sehr deutschklingenden Namen. Wie kommt es dazu?

Mein Großvater stammte aus Dresden, im Ersten Weltkrieg war er als Soldat auf der Krim stationiert und hat dort meine Großmutter kennengelernt. Ein weiterer Familienzweig ist im Übrigen auch ganz interessant: Mein anderer Opa kam in Polen zur Welt, dort hat ihn meine Oma auf einer ihrer vielen Reisen kennengelernt.

Kommen wir zur Musik, denn als Sängerin sind Sie in der Ukraine bekannt und beliebt. Da wir gerade über Ihre Familie gesprochen haben, hat sich das Talent vererbt?

Überhaupt nicht. Musik stand weder bei meinen Eltern noch Großeltern hoch im Kurs. Vielmehr habe ich schon als kleines Mädchen immer gern gesungen. Das fand in der Familie großen Anklang, erst recht in der Schule. In mehreren Chören habe ich mitgewirkt, später auch welche geleitet.

Nun führt die Liebe zu Musik und Gesang nicht automatisch auf die Bühne, so wie das bei Ihnen der Fall ist. Was hat ihren Erfolgsweg ausgemacht?

Musik hat mich schon immer fasziniert, sie beflügelt mich geradezu. Deshalb stand schon zu Schulzeiten fest, dass später mal daraus ein Beruf werden soll. Wie das alles mal aussehen würde, darüber habe ich mir damals keine Gedanken gemacht.

Und wie ging es dann weiter?

Zunächst stand der Besuch einer Musikakademie in Cherson auf dem Plan. Über das Gesangsstudium hinaus habe ich eine Ausbildung absolviert, um die Kunst auch an Jüngere weitergeben zu können. Der Traum einer eigenen Musikschule sollte auch schon bald in Erfüllung gehen. Als ich dann ein Angebot bekam, an eine bekannte Hochschule in Kiew zu wechseln, konnte ich aber nicht Nein sagen.

Beim Benefiz-Konzert in der evangelischen Trinitatis-Kirche im Juni zugunsten eines Hilfskonvois erhielt Lubov Vogel für ihren Auftritt großen Applaus.
Beim Benefiz-Konzert in der evangelischen Trinitatis-Kirche im Juni zugunsten eines Hilfskonvois erhielt Lubov Vogel für ihren Auftritt großen Applaus. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Da kam dann der große Durchbruch?

In einer solchen Millionenmetropole und speziell an einer solchen Akademie lassen sich viele Kontakte knüpfen. Die Angebote zu Auftritten häuften sich, ich war überall in der Ukraine unterwegs, gab viele Konzerte. Das war eine sehr schöne Zeit. Zugleich scharrte sich eine große Zahl von Schülerinnen und Schülern um mich. Die Arbeit mit ihnen hat mich vollkommen fasziniert.

Das Engagement für junge Leute scheint ihnen sehr am Herzen zu liegen. Warum?

Im Umgang mit Kindern und Jugendlichen kann selbst noch so viel Neues lernen, für sich persönlich und musikalisch. Deshalb spreche ich auch gar nicht gerne von Unterricht. Mir kommt es darauf an, den jungen Leuten auf Augenhöhe zu begegnen. Ein bisschen stolz macht es mich, dass viele von ihnen bei Musikwettbewerben erste Plätze belegt haben. Die mit ihrer nach Witten geflüchtete Margarita Tushkanova, die ich begleite, ist zum Casting für Deutschland sucht den Superstar eingeladen.

Haben Sie eigentlich noch Kontakt zu den Schülern?

Mit einigen stehe ich noch in Verbindung, ein großer Teil von ihnen ist auch nach Deutschland geflüchtet. Die Akademie selbst hatte mit Kriegsbeginn ihren Betrieb eingestellt.

Derzeit unterrichtet Lubov Vogel ihre Schülerschar noch in ihrer Wittener Wohnung. In Kürze will sie eine Musikschule eröffnen
Derzeit unterrichtet Lubov Vogel ihre Schülerschar noch in ihrer Wittener Wohnung. In Kürze will sie eine Musikschule eröffnen © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Bieten Sie denn hier in Witten wieder Kurse an?

Elf junge Leute sind es bereits, ich denke, es werden bald noch mehr, da ich in der Innenstadt eine Musikschule an den Start bringe. Nun treten sie inzwischen auch in Witten und anderen Städten an, knüpfen an ihre Konzerttätigkeit in der Ukraine an.

Welche Songs gehören zu Ihrem Programm?

Viel Popmusik ist darunter, Hits aus den aktuellen Charts, aber auch Titel, die in der Ukraine Ohrwürmer sind. Und wenn es das Publikum wünscht, nehme ich auch gerne Folklore aus meiner Heimat hinzu.

Wie wählen Sie eigentlich die Songs aus, die Sie interpretieren?

Im Grunde ist einzig und allein entscheidend, ob mir die Songs gefallen. Wenn sie zu Herzen gehen, der Rhythmus passt, die Texte ansprechend sind, bin ich dabei.

Sie haben vorhin davon gesprochen, dass es die Zeit der Konzerte eine sehr schöne war. Welches Erlebnis hat sie am meisten berührt?

Da gab es so viele bewegende Momente, wenn man die Zuneigung des Publikums spürt, Briefe und Mails, die einen erreichen. Vollkommen überrascht hat mich, als ich vor drei Jahren eine Einladung des im August verstorbenen ersten Präsidenten der unabhängigen Ukraine, Leonid Krawtschuk, erhielt. Er zeichnete jährlich Frauen aus, die Besonderes geleistet haben.

Der vor wenigen Wochen verstorbene erste Präsident der unabhängigen Ukraine, Leonid Krawtschuk, hat 2019 Lubov Vogel (Mitte) mit einem hohen Erden des Landes ausgezeichnet.
Der vor wenigen Wochen verstorbene erste Präsident der unabhängigen Ukraine, Leonid Krawtschuk, hat 2019 Lubov Vogel (Mitte) mit einem hohen Erden des Landes ausgezeichnet. © Vogel

Was hat er besonders herausgestellt?

Über mein musikalisches Wirken hinaus hat er vor allem meinen Einsatz für Kinder und Jugendliche gewürdigt.

Nun wollen Sie sich hier ein neues Leben aufbauen?

Ja, das möchte ich unbedingt. Nach einer tagelangen Flucht war ich froh, in Witten untergekommen zu sein. Nun möchte hier neu beginnen.

Aber haben Sie eigentlich noch enge Verwandte in der Ukraine?

Meinen Sohn, 20 Jahre alt, hätte ich auf der Flucht gern mitgenommen, er lebt in meiner Heimatstadt Cherson. Erst wollte er nicht raus, sondern mitanpacken, um den Menschen in der Not des Krieges zu helfen. Inzwischen ist die Stadt von den Russen besetzt, fliehen ist kaum noch möglich.

Stehen sie mit ihm in Kontakt?

Das schon, aber wegen der schlechten Verbindungen telefonieren wir nur sehr selten. Als ich vor ein paar Tagen erfahren habe, dass er angeschossen wurde, wollte ich sofort zu ihm. Das nicht zu können, hat mich sehr traurig gemacht. Inzwischen geht es ihm, wie ich weiß, wieder den Umständen entsprechend deutlich besser. Die Angst um ihn ist natürlich noch einmal gewachsen und auch die um meine Mutter, die schon gleich zu Kriegsbeginn erklärt hatte, bleiben zu wollen, egal, was sich entwickelt.

Wie kommt sie jetzt mit der Situation zurecht?

Meine Mutter ist oft sehr deprimiert. Mit ihren 75 Jahren hat sie fest daran geglaubt, dass es nie wieder Krieg geben würde - nach zwei großen Weltkriegen. Heitere Momente bescheren ihr aber wohl die beiden Katzen Alica und Marscha, die ich zurückgelassen habe und um die sich rührend kümmert. Das alles kann aber über eines nicht hinwegtäuschen: Wir alle haben vor allem eine Frage: Wann können wir uns wieder in die Arme schließen?

Die gebürtige Ukrainerin Olga Tape hat das Interview gedolmetscht.