Witten. Tolle Leistung: Shakib Fayzi hat das Abi bestanden. Dabei war der Flüchtling 2015 allein nach Witten gekommen. Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen.
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Das Abitur zu machen, ist immer ein schweres Stück Arbeit. Für Shakib Fayzi war es aber noch ein ganzes Stück schwerer. Denn er ist als 15-Jähriger aus Kunduz in Afghanistan nach Deutschland geflohen. Allein, ohne Familie, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Trotzdem hat er es geschafft – mit „schier unendlichem Engagement und Fleiß in Rekordzeit“, wie seine Lehrer von der Hardenstein-Gesamtschule betonen. In dieser Woche konnten sie dem 22-Jährigen nun das wichtige Zeugnis überreichen.
Im Jahr 2015 musste Shakib seine Heimat verlassen. Die Familie wurde von den Taliban verfolgt und bedroht, die Eltern wollten ihren Sohn nach mehreren Repressalien in Sicherheit wissen. Der Junge machte sich mit einem Onkel auf die Reise nach Deutschland. Was er von Deutschland wusste? „Ich hatte deutsche Soldaten gesehen und fand ihre Sprache interessant.“
Flüchtling wurde auf der Overberg-Schule in Witten eingeschult
Die Flüchtlinge landeten in einem Lager in München, kamen dann nach Frankfurt. Dort blieb der Onkel, Shakib wurde als Minderjähriger nach Witten weitergeschickt. In Herbede fand er Unterkunft und Betreuung. Zunächst besuchte er die achte Klasse der Overberg-Hauptschule, doch dort kam der 15-Jährige nicht klar. „Ich wollte auf eine bessere Schule“, sagt er. Der Wechsel zur Hardenstein-Gesamtschule gelang. „Das war eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe.“
Ganz reibungslos klappte der Start auch dort nicht. Der Junge musste die achte Klasse wiederholen, kämpfte mit der neuen Sprache und Grammatik. „Ich habe mich selten gemeldet, habe mich nicht getraut, weil ich immer Angst hatte, Fehler zu machen“, sagt er. Auch Kontakt zu den Klassenkameraden zu finden, war mitten in der großen Flüchtlingskrise mit all den negativen Schlagzeilen nicht leicht. „Einige Mitschüler hatten Angst vor mir“, sagt Shakib leise. Ja, der Anfang sei schwer gewesen. „Aber dann habe ich viele Freunde gefunden.“
Deutsche Literatur fiel dem Afghanen schwer
Und auch im Unterricht lief es immer besser. „Mathe ist mir gleich leicht gefallen und auch Spanisch fand ich einfach“, erzählt der Abiturient. Deutsche Literatur war hingegen eine echte Herausforderung. „In der Q1 haben wir ,Nathan der Weise’ gelesen, puh. . .“: harter Stoff für den jungen Afghanen. Doch er biss sich durch – mit Erfolg.
Dabei war das Abitur gar nicht von Anfang an sein Ziel gewesen. „Ich wollte den Realschul-Abschluss schaffen.“ Als er den in der Tasche hatte, peilte er das Fach-Abi an. Auch das klappte. „Und dann haben mir meine Lehrer gut zugeredet, noch das Abi zu versuchen.“ Shakib wählte Mathe und Sport als Leistungskurse, dazu Erdkunde und Spanisch als drittes und viertes Fach. „Ich habe richtig viel gelernt und wirklich alles gegeben – ich wollte es schaffen“, sagt er. Und am Ende stand die 3,0 auf dem Zeugnis.
Die Klassenlehrerin unterstützte den Jungen sehr
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Shakib weiß, dass es das ohne die Hilfe der Lehrerinnen und Lehrer, aber auch der Betreuerinnen nicht geschafft hätte. „Meine Klassenlehrerin Frau Hestermann war von Anfang an für mich da.“ Sie und ihr Kollege Jan Wantula hätten ihn immer wieder motiviert und durch schwere Zeiten getragen. „Es gab Phasen, in denen ich mich verletzt habe.“
Krank machte ihn die Sorge um die Familie. Lange Zeit wusste der junge Afghane nicht, ob er sie jemals wiedersehen wird. Er konnte sein Glück kaum fassen, als er seine Eltern und Geschwister nach fünf langen Jahren schließlich im Iran wiederfand, wohin sie vor den Taliban geflüchtet waren. Nach einem ersten Treffen im letzten Jahr hat sich Shakib gleich nach der Abifeier wieder auf die teure Reise dorthin gemacht. „Ich habe dafür gearbeitet, Geld gespart und meine Lehrer haben mich finanziell auch unterstützt“, sagt er. Eigentlich hätte er mit dem gesparten Geld ja den Führerschein machen wollen. „Aber ich musste einfach zu meinen Eltern, sie vermissen mich so sehr.“
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Deswegen ist nun auch Shakibs größter Wunsch, die Familie nach Deutschland einladen zu können. „Ich möchte meine Eltern finanziell unterstützen, dafür sorgen, dass meine Schwestern eine bessere Zukunft haben.“ Dafür braucht der 22-Jährige selbst einen guten Job. Der erste Schritt dahin ist schon getan: Im Herbst beginnt Shakib Fayzi ein duales Studium der Ingenieurwissenschaften. Mit ganz viel Ehrgeiz und Optimismus – und bestimmt auch mit Erfolg.