Witten/Hattingen. In vielen Kitas in Witten und Hattingen fand nur Notbetrieb statt. 250 Streikende folgten dem Aufruf der Gewerkschaft Verdi und protestierten.
Dass diese Berufsgruppe einiges aushalten kann, glaubt man gerne. Mit einem ohrenbetäubenden Getöse aus Trillerpfeifen, Rasseln und Musik machten am Mittwoch (4.5.) etwa 250 Mitarbeitende von städtischen Kitas und OGS aus Witten, Hattingen und Hagen ihrem Ärger auf dem Rathausplatz in Witten Luft. Jeder Streikenden merkt man die berufliche Unzufriedenheit an.
Zur Arbeitsniederlegung hatte die Gewerkschaft Verdi aufgerufen. Die Kundgebung in Witten war Teil einer bundesweiten Auseinandersetzung um mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen. Gewerkschaftssekretärin Ina Hecht hat für die Streikenden ein Bonbon parat: „Ihr seid ausgebrannt, wir haben etwas zum Löschen“, ruft sie von der Bühne und zeigt auf den Eiswagen von Giovanni Vizzini. Wer besonders ausgebrannt sei, solle sich bitte zwei Kugeln nehmen. Tatsächlich, zwei Kugeln nehmen fast alle.
Vorschularbeit und Ausflüge sind nicht mehr machbar
Von ihrer Arbeitsbelastung erzählen die Erzieherinnen Heike (54) und Nicole (44), die in der städtischen Kita Helfkamp in Witten arbeiten. „Das ist wie in einem Laufrad. Wir brauchen dringend Entlastung. Wir sind am Limit“, sagt Heike. 200 Wochenstunden, das sind vier bis fünf Stellen, können in ihrer Kita zurzeit nicht erbracht werden. Entweder sind die Stellen unbesetzt oder die Kolleginnen langzeiterkrankt. „Mathematische Frühbildung oder Vorschularbeit findet zurzeit nicht mehr statt. Ausflüge sind nicht machbar, weil wir mit so wenig Personal die Aufsichtspflicht nicht erbringen können.“
Ähnliches berichtet Britta Schlitter (50), Leiterin der Kita An der Hunsebeck in Hattingen. „Wir sind absolut vom Fachkräftemangel betroffen. Und die unbesetzten Stellen müssen eben die anderen auffangen.“ Ausbildung und Bezahlung seien offenbar nicht attraktiv genug.
Drei Jahre unbezahlt
Die Abiturientinnen Fatos Kacmaz und Jolina Schock aus Hagen haben sich trotzdem für eine Ausbildung in der Kita entschieden. Fatos musste erst ein unbezahltes Jahrespraktikum leisten, es folgen zwei (unbezahlte) Jahre auf dem Berufskolleg, erst im dritten Praxisjahr gibt es eine Entlohnung, etwa 1000 Euro. Jolina dagegen absolviert eine neuere, praxisintegrierte Ausbildung (PiA). Vom ersten Lehrjahr an wird sie bezahlt, muss aber auch richtig mitarbeiten. „Nach acht Stunden in der Kita noch abends für die Berufsschule büffeln, geht eigentlich nicht“, klagt sie. Zumal sie in der Kita als Ersatz für fehlende Kolleginnen voll eingebunden sei.
Fünf aus der Berufsschulklasse brechen vorzeitig ab
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„Warum verdienen Leute, die an Autos herumschrauben eigentlich das Doppelte von denen, die die Zukunft unserer Gesellschaft erziehen“, fragt Barbara Habla. Die 64-Jährige ist Quereinsteigerin, mit einem befristeten Arbeitsvertrag.
Genau wie Dionne Morris, studierte Heilpädagogin, als Erzieherin befristet eingestellt. Die 25-Jährige berichtet: „In meiner Gruppe betreuen wir 15 Kinder, davon tragen zehn eine Windel. Eine Kollegin ist eigentlich permanent damit beschäftigt, Windeln zu wechseln. Man kann nur funktionieren, das irgendwie hinkriegen.“
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Dabei bräuchten viele Kinder viel mehr Unterstützung. „Wir haben Kinder, die wachsen zwei- oder dreisprachig auf“, sagt die gebürtige Schottin Dionne. „Und wir betreuen integrative Kinder, die auch mal einen Ausraster haben.“ Da gebe es Kleine, die Teller- und Stühle schmeißen, über Stunden schreien, die Erzieherinnen kratzen, beißen oder treten.
An interessiertem Nachwuchs mangelt es nicht, viele junge Frauen stehen mit auf dem Rathausplatz. Eine erzählt, dass gleich fünf aus ihrer Berufsschulklasse das Handtuch geworfen hätten. Die 54-jährige Heike kann das nachvollziehen: „Die sehen doch an ihren Praxistagen, wie fertig wir sind. Will man dann diesen Beruf?“