Witten. Immer mehr Hausbesitzer möchten sich unabhängig vom Energiemarkt machen und Strom vom eigenen Dach ernten. Der Solarboom hat auch Schattenseiten.
Deutschland bangt um die Versorgung mit Gas und Öl. Viele Hausbesitzer möchten sich vom globalen Energiemarkt unabhängiger machen, etwa mit Solaranlagen, Speichern und Wärmepumpen. Die Folge: Die Beratungsanfragen bei den Stadtwerken Witten zu alternativer Energiegewinnung hat sich seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs verzehnfacht.
„Bis zum letzten Jahr hatte wir etwa drei bis fünf Anfragen pro Woche. Jetzt sind es drei bis fünf pro Tag“, bilanziert Patrick Berg, Abteilungsleiter für Energiedienstleistungen bei den Stadtwerken. Weil die Beratung zurzeit nur mit Wartezeit möglich ist, stocken die Stadtwerke das Personal in diesem Bereich auf. Patrick Berg hat festgestellt: Während es bislang um finanzielle Gründe ging – also wie rentabel die eigene Stromerzeugung ist – , möchten Interessenten nun nicht länger allein auf den Energiemarkt angewiesen sein. Dabei treibt sie immer dieselbe Frage um: Wie bekomme ich eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach?
Lieferengpass bei Batteriespeichern
Das dauert inzwischen länger als manchem lieb ist: Es fehlen Handwerker, die Solarmodule installieren können, und es gibt Lieferengpässe. Die PV-Module seien (noch) gut zu bekommen, Batteriespeicher nicht. Ab April habe die weltweit hohe Nachfrage außerdem zu teils extremen Preissteigerungen geführt. „Der Boom kam von heute auf morgen“, so der Stadtwerke-Experte. „Für eine Installation muss man Geduld mitbringen.“ Im letzten Jahr noch galt: Zwischen Planung und Aufbau der Anlage dauerte es etwa anderthalb Monate – heute undenkbar.
Im Durchschnitt ernten Wittener Hausbesitzer ein Drittel bis die Hälfte ihres Stromverbrauchs über die PV-Anlage. Mit einem Solarspeicher sind 60 bis 80 Prozent möglich. Nachts oder bei grauem Himmel kaufen sie dann Energie beim Stromanbieter ein. Eigenheime, die komplett autark durch Photovoltaik mit Strom versorgt werden, sind eher die Ausnahme.
PV-Anlage bleibt bestenfalls 30 Jahre auf dem Dach
Maßgebend, betont Patrick Berg, sind für solche Rechnungen aber die Zahl der Solarmodule, Neigung und Ausrichtung des Dachs. „Bei einem Reihenmittelhaus muss man aus Brandschutzgründen an beiden Seiten Abstand zwischen Solarpanel und Nachbardach halten. Viel Fläche für die Stromerzeugung bleibt dann häufig nicht“, gibt er zu bedenken. Und, der Zustand des Dachs sei wichtig: „Denn eine PV-Anlage läuft bestenfalls 30 Jahre oder länger.“
Kaum Solaranlagen auf Mietshäusern in Witten
Die Stadtwerke haben ein großes Interesse daran, für die Erwirtschaftung ihres Öko-Stroms PV-Anlagen in Witten zu betreiben. Seit einiger Zeit bieten sie darum ein „Contracting“-Prinzip an: Hausbesitzer stellen ihre Dachfläche zur Verfügung, die Stadtwerke bauen und betreiben dort eine Photovoltaikanlage, die in ihrem Besitz bleibt. Immobilienbesitzer haben so nur ein minimales Invest, profitieren aber von einem monatlichen Abschlag auf ihre Stromrechnung. Bislang wird dieses Angebot in Witten aber kaum genutzt.Dabei hat der Energieversorger besonders die Besitzer von Mietshäusern im Blick. Denn die Einsparungen einer Solaranlage auf die jeweiligen Mietsparteien umzulegen, bedeutet einen hohen bürokratischen Aufwand – weswegen PV-Anlagen in Witten bislang fast nur auf den Dächern von Betriebsgebäuden und Eigenheimen zu finden sind.
Was eine Solaranlage zurzeit kostet, möchte Patrick Berg nicht beziffern – so stark würden die Preise plötzlich anziehen. Viele unterschätzen auch, dass mit der Anlage häufig auch eine Zählerplatzerneuerung einhergeht. In den 50 Jahre alten Stromkasten im Keller kann man die Module nicht einfach zuschalten. Zurzeit gibt es nur noch eine einzige Förderung – und zwar wenn man eine PV-Anlage und eine Wallbox fürs Elektroauto zeitgleich anschafft. Dann erhält man die Wallbox meistens kostenlos dazu.
Trotzdem glaubt er: „Auf jedem Dach in Witten, wo es Sinn macht, wird es bald eine PV-Anlage geben.“ Bei einem Dach mit Südausrichtung sei eine große PV-Anlage ein Selbstläufer. „Und mit Blick auf die Umwelt rechnet sich die Anschaffung sofort.“