Witten. Das Aus für die Freiligrath-Hauptschule in Witten ist beschlossen. Doch wo sollen künftig Kinder hingehen, die die Realschule nicht schaffen?

Das Aus für Wittens letzte Hauptschule, die Freiligrathschule an der Hamburger Straße in Annen, ist besiegelt. Der Rat hat beschlossen, dass sie keine neuen Schüler mehr aufnimmt und ihren Betrieb zum 31. Juli 2027 einstellt. An der Schule selbst ist diese Entscheidung nicht nachvollziehbar.

Fast geräuschlos verschwindet damit die letzte Hauptschule aus Wittens Schullandschaft. Die Kronenschule schloss 2010, 2018 dann die Overbergschule, in sechs Jahren trifft es nun die Freiligrathschule. Diese Entscheidung hat der Rat bereits 2016 gefällt und nun in seiner jüngsten Sitzung bestätigt. Allein die AfD stimmte dagegen. „Es gibt überhaupt keinen Grund, diese Schule zugunsten einer Gesamtschule zu schießen“, sagte Ratsherr Matthias Renkel.

Otto-Schott-Realschule in Witten wird zur dritten Gesamtschule umgebaut

Eher leistungsschwache Schüler sollen künftig in den beiden Realschulen und drei Gesamtschulen beschult werden. Wie berichtet, werden nur noch die Bommeraner Helene-Lohmann-Realschule und die Adolf-Reichwein-Realschule ihre Arbeit fortsetzen. Die Otto-Schott-Realschule in der Innenstadt wird zu einer dritten Gesamtschule umgebaut – die am meisten nachgefragte Schulform.

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Die Entscheidung von 2016 fußt auf mangelnden Anmeldezahlen und einer Befragung von Grundschuleltern. Es finden sich kaum noch Grundschüler, die nach der vierten Klasse zur Hauptschule wechseln wollen. 2020 wurden an der Freiligrathschule nur 14 Schüler, 2021 lediglich 13 angemeldet.

„Und das, obwohl an der Freiligrathschule eine hervorragende Arbeit geleistet wird“, sagt Experte Heinfried Habeck, der zurzeit den neuen Schulentwicklungsplan für Witten erstellt und die Annener Hauptschule besucht und begutachtet hat. „Dass die Schule schließen muss, ist eine Entscheidung der Eltern mit den Füßen. Die Qualität hat niemand berücksichtigt.“

Neue siebte Klasse aus Schulwechslern

Die Schulkonferenz – also Eltern, Schüler und Lehrkräfte – ist der Meinung, dass die Freiligrathschule sehr wohl „eine Berechtigung in der Wittener Schullandschaft hat“. In einem Schreiben an das Kreisschulamt wurde dies erneut bekräftigt. 2016 seien die „falschen Eltern“ befragt worden. Die Eltern der Grundschüler könnten die Arbeit der Hauptschule schlecht einschätzen, nur die gesellschaftliche Anerkennung werde in den Fokus gestellt. Dabei könne ein kleines System einzelnen Schülern besser gerecht werden. Seit 2016 habe sich zudem gezeigt, dass der Bedarf an einer Hauptschule durchaus besteht.

Denn: Die Freiligrathschule hat aktuell noch gute Schülerzahlen. Mit jedem Jahrgang kommen Kinder hinzu, die an anderen Schulformen nicht klarkommen oder „abgeschult“ werden. Die Freiligrathschule hat jedes Jahr eine neue Klasse 7 bilden müssen, um Schulwechsler aufzunehmen. Auch Flüchtlingskinder oder Kinder aus dem EU-Ausland, die mit großen Sprachproblemen nach Witten kamen, werden dort unterrichtet.

Auffangbecken fehlt künftig

Neue Gesamtschule trägt den Namen Otto Schott

Der Wittener Stadtrat hat beschlossen, die Otto-Schott-Realschule ab Sommer 2022 als „Otto-Schott-Gesamtschule“ starten zu lassen, und zwar mit vier Zügen. Der Name der neuen Schule soll weiterhin an den berühmten Wittener Chemiker und Glastechniker erinnern. Für den Neu- und Umbau wird der erste Gesamtschuljahrgang, also die kommende fünfte Klasse, zunächst in der ehemaligen Overbergschule (Rhienscher Berg) starten.

Die Einrichtung der neuen Gesamtschule kommt die Wittener teuer zu stehen. Schuldezernent Frank Schweppe rechnet in einer Verwaltungsvorlage mit 36,4 Millionen Euro. Im Haushaltsjahr 2022 sind zunächst 400.000 Euro eingeplant. Neben der Sanierung des alten Realschulgebäudes am Viehmarkt soll es einen Teilneubau geben.

Ohne Hauptschule fehlt dieses Auffangbecken. Wohin sollen Kinder künftig gehen, die die Anforderungen der Realschule nicht schaffen? Schulamtsdirektorin Johanna Schlumbom vom EN-Kreis äußert Bedenken und bittet darum, „diesen Aspekt bei der Planung für die dritte Gesamtschule zu berücksichtigen“. In der Vorlage, über die im Rat abgestimmt wurde, nennt Schuldezernent Frank Schweppe „erste Überlegungen, an den Realschulen ab der Klasse 7 einen Hauptschulzweig zu bilden“.

Schulgutachter Heinfried Habeck rät davon allerdings ab. Vielmehr sollten Kinder gar nicht erst die Schule wechseln und so ihr erstes großes Scheitern erleben müssen. Theoretisch wäre zwar ein Wechsel auf eine Gesamtschule möglich. Habeck: „Allerdings haben die Gesamtschulen kaum Aufnahmekapazitäten, da beißt sich die Katze in den Schwanz.“ Folglich müssten die Realschulen umdenken und schwache Schüler so fördern, dass sie gar nicht erst sitzen bleiben. Sprich: Sie irgendwie durchbringen. Die Schließung der Freiligrathschule ist jedenfalls beschlossene Sache.