Witten. In der Pandemie zieht es immer mehr Menschen in Witten raus in die Natur. Das gilt es zu beachten, um Pflanzen- und Tierwelt nicht zu gefährden.
Die Sonne scheint, es ist Pandemie, also keine Veranstaltungen oder Gastronomie – da liegt ein Zeitvertreib nahe: raus in die Natur. Seit Beginn der Corona-Pandemie hat es viele Menschen in Wittens Wälder gezogen. Während zwei Waldbesitzer diese neuentdeckte Liebe zur Natur zum einen begrüßen, wünschen sie sich aber auch einen etwas sensibleren Umgang mit Tier- und Pflanzenwelt.
„Am Wochenende ist es hier wie in der Einkaufsstraße“, sagt Sandra Oberste-Frielinghaus – also verglichen mit Vor-Corona-Zeiten. „Es kommen auch Autos mit Kennzeichen von sehr weit weg.“ Die Auswärtigen wollen das Muttental besuchen. Beliebt war das Ausflugsziel natürlich schon vor der Pandemie. Seit einem Jahr seien es aber „mindestens doppelt so viele Besucher“, schätzt Sandra Oberste-Frielinghaus. „Mehr“, erwidert ihr Vater Fritz Oberste-Frielinghaus direkt, er schätzt „dreimal so viel“.
Druck auf Natur und Anwohner in Witten ist groß
„Leute aus Ballungsräumen sind schnell hier, trampeln alles platt, müllen alles voll und sind dann wieder weg“, ärgert sich die Tochter. „Der Druck auf die Natur und die Anwohner ist schon groß.“ Viele Leute mit Hunden seien unterwegs, Familien und Mountainbiker. „Das Problem ist, dass sie die Wege verlassen“, erklärt Fritz Oberste-Frielinghaus. Das sei im Prinzip auch erlaubt, ergänzt seine Tochter. „Aber man muss auch überlegen, dass man damit Lebewesen gefährdet und Pflanzen zerstört.“
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Hasen zum Beispiel zögen seit Anfang März ihre Jungen groß. Anders als bei Kaninchen liegen die kleinen Hasen aber nicht unter der Erde in einem Bau, sondern in Mulden über der Erde. Natürlich suche sich die Hasenmutter dafür in der Regel Orte aus, die ruhig seien, so Sandra Oberste-Frielinghaus. Seit Beginn der Pandemie seien das aber immer weniger geworden.
Wer abseits der Wege unterwegs ist, kann auf ein Vogelnest treten
Wie auch die Hasen lassen Rehe ihre Nachkommen tagsüber oft alleine und kehren abends zurück, erklärt sie weiter. Wer also ein Rehkitz sieht, das vermeintlich verlassen im Wald liegt, solle es auf keinen Fall anfassen, mahnt Fritz Oberste-Frielinghaus. Der Geruch des Menschen führe nämlich dazu, dass die Mutter ihr Kind nicht mehr erkenne. Und dann lässt sie es wirklich alleine zurück.
Neben Rehen und Hasen sind im April auch einige Vögel mit der Aufzucht der Kleinen beschäftigt, wissen die beiden Waldbesitzer. Und anders als man vielleicht glaubt, tun das einige von ihnen auf dem Boden. Rotkehlchen zum Beispiel brüten zum Teil auf dem Boden, oder die Waldschnepfe. Wer also durch das Laub abseits der Wege läuft, der tritt dabei vielleicht auch auf ein Vogelnest.
Hinweisschilder bieten Besuchern Informationen über die Tiere im Wald
In einem Jahr Pandemie haben Vater und Tochter immer wieder Situationen erlebt, in denen Waldbesucher – oft auch aus Unwissenheit – zur Gefahr für die Bewohner des Waldes geworden sind. Im ersten Lockdown etwa hätten Wanderer das Ufer des Bachlaufs im Muttental zertreten.
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Das zerstöre die Vegetation, auf die die dort lebenden Amphibien aber angewiesen sind, gibt Fritz Oberste-Frielinghaus zu bedenken. Und diese Tiere seien ohnehin gefährdet. Die Arten, die hier in Witten leben, stünden auf der Roten Liste.
Sandra Oberste-Frielinghaus wünscht sich, dass die Menschen sich im Wald mehr für das interessieren, was sie umgibt. „Jeder hat heute ein Smartphone dabei“, sagt die 50-Jährige. Im Internet kann man etwas über den Wald, die Pflanzen und die Tiere herausfinden. Auch auf Tafeln, die die Frielinghauses aufgestellt haben, finden Besucher Informationen zu den dort lebenden Tieren. Etwa zu den Salamandern, von denen aktuell viele an einer Pilzerkrankung leiden und auch daran sterben. Hinweisschilder erklären, was Waldbesucher gegen die Ausbreitung der Pilzsporen tun können.
Im Wald lauern auch Gefahren für Spaziergänger
Auch Trockenheit schadet den Bäumen in Witten
Nicht nur die gesteigerte Menge an Besuchern ist ein Problem für die Natur. Obwohl Frühling ist, ist es im Wald nicht grün. Schuld daran sind der Klimawandel und der Boden. Der ist Witten nämlich sehr felsig, nimmt also nur wenig Wasser auf. Und „die alten Bäume ziehen das Wasser aus der Tiefe“, erklärt Sandra Oberste-Frielinghaus.
Auch Neuanpflanzungen können bei der aktuellen Trockenheit nur schwer gedeihen.
„Wenn das noch mal so ein heißer Sommer wird“, blickt ihr Vater Fritz Oberste-Frielinghaus in die Zukunft, „dann sind 50 bis 60 Prozent der Bäume weg“.
Auf dem Plakat steht auch der Satz: „Bitte verlassen Sie keinesfalls die eingerichteten Wege!“ Dieser Grundsatz dient nicht nur dem Schutz der Tiere und Pflanzen – sondern auch dem der Menschen. Wenn abseits der Wege etwas passiert, Äste abbrechen und einen Wanderer treffen, trockene Bäume abknicken oder man von herabfallender Rinde verletzt wird, dann kommt so schnell keine Hilfe vorbei. Sandra Oberste-Frielinghaus warnt auch vor möglichen Tagebrüchen in der Region. „Man kann jederzeit in ein Loch fallen“, sagt sie. Zumindest theoretisch. Die RAG überprüfe das Gebiet natürlich.
„Ich gönne den Leuten die Erholung“, sagt Sandra Oberste-Frielinghaus. „Aber ich wünsche mir auch mehr Respekt gegenüber der Natur.“ Es gebe so viel zu entdecken im Wald – auch auf den vorgegebenen Wegen.