Witten. Tür-Geschäfte, die Umsatzeinbrüche nicht auffangen, unsichere Aussichten im Coronajahr 2021: Der harte Kampf der Einzelhändler in Witten.

Gassmann, Wittens letztes Kaufhaus, wurde vor 100 Jahren gegründet. Ein stolzes Jubiläum für ein Familienunternehmen. Inhaberin Christine Gassmann-Berger freut sich derzeit über jeden Kunden, der bei ihr Ware bestellt, die dann auf ihrem Parkplatz an der Breddestraße abgeholt werden kann. „Jeder Euro zählt“, sagt die Geschäftsfrau, die wie andere Einzelhändler in der Stadt unter dem zweiten Lockdown leidet - und der Unsicherheit, wie es mit der Pandemie und dem eigenen Geschäft weitergeht.

IHK: Keine einheitliche Stimmungslage

Christian Kolb vom IHK-Wirtschaftsbüro in Witten spricht viel mit Einzelhändlern in der Stadt. Deren Situation und Stimmungslage in Corona-Zeiten sei sehr unterschiedlich, reiche von Ver­zweif­lung bis zur Aufbruchstimmung, sagt er.

Händler nutzten die Zeit auch, um Geschäftskonzepte auf den Prüfstand zu stellen und sich Gedanken darüber zu machen, wie man Kunden, die derzeit online shoppten, nach der Öffnung der Läden wieder für die Geschäfte in der eigenen Stadt interessieren könne. Zahlen zu den bisherigen Umsatzverlusten für den Wittener Handel durch die Lockdowns gebe es bislang nicht, so Kolb.

Der Tür-Verkauf fange ihre finanziellen Verluste in Corona-Zeiten nicht auf, sagt die 66-Jährige. Dass sie ihre Kunden am 7. März wieder in ihrem Kaufhaus an der Bahnhofstraße begrüßen kann, glaubt sie nicht. „Der Lockdown wird ja immer wieder verlängert.“ Gassmann-Berger betreibt noch Warenhäuser in Herbede, Essen und Meinerzhagen. Mit ihren vier Geschäften hat sie in diesem Januar einen Umsatz von nur zehn Prozent im Vergleich zum Januar 2020 gemacht. Im Frühjahr 2020 habe sie die staatliche Soforthilfe bekommen, sagt sie. „Das hat geholfen.“ Das Kurzarbeitergeld für die Mitarbeiter decke jedoch lange nicht ihre gesamten Personalkosten ab.

Modegeschäft aus Witten stellt seine Ware auf digitalen Kanälen wie Facebook und Instagram vor

Christine Gassmann-Berger, Inhaberin des letzten Kaufhauses in Witten, vor ihrem geschlossenen Geschäft auf der Bahnhofstraße. Im Januar machte die Unternehmerin nur zehn Prozent des Umsatzes vom Januar 2020.
Christine Gassmann-Berger, Inhaberin des letzten Kaufhauses in Witten, vor ihrem geschlossenen Geschäft auf der Bahnhofstraße. Im Januar machte die Unternehmerin nur zehn Prozent des Umsatzes vom Januar 2020. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Als „ungerecht“ empfindet sie es, dass andere Geschäfte, die weiter geöffnet sein dürften, Waren anbieten, die traditionell zum Gassmann-Sortiment zählen. Aldi zum Beispiel verkaufe Wäsche und bewerbe dies mit großen Anzeigen. Bislang stehe ihr Unternehmen auf einer soliden finanziellen Basis, betont die 66-Jährige. „Nur irgendwann sind finanzielle Reserven auch aufgebraucht.“ Christine Gassmann-Berger glaubt nicht, dass sich die Menschen im Einzelhandel mit dem Corona-Virus anstecken. „Ich habe die Vermutung, dass das eher im privaten Kreis und im öffentlichen Nahverkehr geschieht.“

Auch Keudel ist ein inhabergeführtes Traditionsgeschäft, das im zweiten Lockdown um seine Kundschaft kämpft. Über digitale Kanäle wie Facebook und Instagram stellt das Modegeschäft von der oberen Bahnhofsstraße seine Ware vor, die an der Ladentür abgeholt werden kann. Melanie Igel, Ehefrau des Inhabers: „Das wird gut angenommen. Dafür sind wir sehr dankbar.“ Die Mitarbeiter seien in Kurzarbeit und arbeiteten stundenweise. Eine staatliche Unterstützung zu beantragen, sei ein schwieriges Unterfangen. „Das ist extrem kompliziert.“ Ein Fall für den Steuerberater, so die Geschäftsfrau.

Einzelhändler: „Die Kunden sprechen uns Mut zu. Das ist auch menschlich eine tolle Erfahrung“

Gianna Gesenberg (li.) vom Modegeschäft Keudel reicht einer Kundin die vorbestellte Ware durch die Ladentür. Das Geschäft macht auch auf Facebook und Instagram auf seine Ware aufmerksam.
Gianna Gesenberg (li.) vom Modegeschäft Keudel reicht einer Kundin die vorbestellte Ware durch die Ladentür. Das Geschäft macht auch auf Facebook und Instagram auf seine Ware aufmerksam. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Melanie Igel setzt wie viele Händler auf das Prinzip Hoffnung, hat schon Modisches für den nächsten Herbst geordert. „Wir glauben, dass sich mit den Impfungen die Lage im Laufe des Jahres normalisieren wird.“ Wenn ihr Geschäft das ganze Jahr zu bleiben müsse, „würde uns das allerdings das Wasser abgraben“, sagt Igel.

Auch Philip Teller, Inhaber von Maxim-Shoes auf der Ruhrstraße, hat seine elf Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt. Bei Teller und seiner Frau können Kunden auch weiterhin Schuhe und Kleidung bestellen und abholen. Seine Ware bietet Teller via Instagram und Facebook an. „Wir stellen dort täglich zehn neue Bilder ein.“ Die, die bei ihm einkauften, hätten viel Verständnis für die derzeit schwierige Lage des Einzelhandels. „Die Kunden sprechen uns Mut zu. Das ist menschlich eine tolle Erfahrung“, findet der Händer, der bisher keine staatliche Hilfe erhalten hat.

Philip Teller glaubt nicht, dass er sein Geschäft am 7. März öffnen darf

Wie Christine Gassmann-Berger wundert sich Philip Teller darüber, dass Supermärkte, in denen es in Corona-Zeiten oft weiterhin brechend voll sei, „auch Schuhe und Klamotten verkaufen dürfen. Da frage ich mich schon, warum ich nicht aufmachen darf“. Dass er am 7. März wieder Kunden in seinem Laden empfangen kann, glaubt auch er nicht. Wichtig sei: „Meine Familie und ich sind gesund. Wir werden das alles auch finanziell überleben - wenn die Schließung sich nicht noch über ein halbes Jahr hinzieht.“

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