Witten. Beim Übersetzen mit der Ruhrtalfähre in Witten gibt’s eine Geschichtsstunde gratis. Vielen Ruhrtalradlern ist das eine Spende wert.
Morgens kommen die Rentner, nachmittags Familien. Und vor allem die Radler mit den Packtaschen! Die Touristen erkennen die Schiffsführer Helmut Schönekess und Christoph Vogel schon von Weitem. Dann stellt sich Vogel aufs Deck der Hardenstein und erzählt. Vom Ruhrtal, Mittelalter bis Neuzeit. Gerührt werfen die Touristen einige Euro in die Spendenbox der Wabe-Fähre.
An Deck ist ein Trupp radelnder Rheinländer ganz begeistert. „Das ist Ruhrgebiet“, ruft einer. Denn man habe nicht zu ihm gesagt, „Bitte machen Sie die Zigarette aus“. Nee, da hieß es „Kippe wech!“ Auf der zwischen dem Schleusenwärterhaus und der Burgruine Hardenstein pendelnden Elektrofähre arbeiten nun mal auch echte Originale.
„Das ist toll zu sehen, wie die Touristen das Ruhrgebiet entdecken“, sagt Christoph Vogel (67), der ehrenamtlich an Bord hilft. „Die meisten glauben, hier fliegen noch die Briketts tief.“ Der Mann am Steuer ist Helmut Schönekess. Er hat den erkrankten Seemann Christoph Heemann im letzten Jahr abgelöst und leitet nun den Fährbetrieb.
Schiffsführer arbeiten in Fünf-Stunden-Schichten an Bord der Fähre in Witten
Der Bommeraner Schönekess ist 2014 zur Wabe gekommen. Davor sei er arbeitslos gewesen und davor „alles Mögliche: Elektriker, Schlosser, Schweißer, so was“. Er ließ sich bei der Wabe zum Schiffsführer ausbilden, zunächst als 1,50 Euro-Job. Mittlerweile steuern er und zwei weitere angestellte Schiffsführer die Fähre in Fünf-Stunden-Schichten über die Ruhr. „Mehr geht nicht, dann wirste dulle. Immer hin und her.“
„Da steuert man auf einer Arschbacke“
Ja, ist das denn nicht langweilig? „Es ist doch auch nicht langweilig, Brötchen zu verkaufen“, sagt Schönekess. Immer andere Gäste und die sich oft verändernde Strömung sorgen für Abwechslung. Die Ruhr sei nicht immer so mild wie zuletzt an den schönen Spätsommertagen. „Da steuert man ja auf einer Arschbacke.“
Für Christoph Vogel ist die Pendelei sowieso der schönste Job der Welt. „Im Herbst komme ich manchmal eine halbe Stunde früher zum Dienst. Dann nehme ich die Fähre und gurke ein Stück ruhraufwärts. Ich seh’ die Nebelschwaden und die aufgehende Sonne. Diese Stimmung ist durch nichts zu bezahlen.“
Ein bisschen neidisch gucken die beiden Fährleute aber schon auf die MS Schwalbe, dessen Mannschaft ganz andere Bedingungen hat. Nicht mal eine Toilette haben sie. Was macht denn ein Fährmann, wenn er mal aufs Klo muss? „Festmachen und ins Schleusenwärterhäuschen düsen. Kommt vor“, brummt der 59-jährige Schönekess. Im Führerhaus haben die Wabe-Mitarbeiter zwar eine Kaffee-Kapselmaschine. Die Sitze bauten sie aber selbst zusammen, aus den ausgedienten Autositzen eines Ford Focus.
Inzwischen nutzen mehr E-Biker als „Bio-Biker“ nutzen den Ruhrtalradweg in Witten
Dabei haben sie wahrlich gut zu tun. Der Ruhrtalradweg sei einer der am häufigsten genutzten Radwege Deutschlands. In diesem Jahr seien besonders viele Niederländer, Engländer und Franzosen unterwegs gewesen, sagen die beiden. Inzwischen zählen sie mehr E-Biker „als Biobiker“. Die Radwanderer fahren meist mit Übernachtungsstopps von Arnsberg bis Duisburg. „Viele spenden gar nichts. Das gleichen aber die aus, die 10 oder 20 Euro geben“, sagt Schönekess. So kämen sie auf einen Erlös von 40 Cent pro Fahrgast.
Jetzt, im Herbst, werden die Tage auf der Hardenstein ruhiger. Da könne man auch mal ein Buch lesen, während man auf Fahrgäste wartet. Wenn die Hardenstein dann Ende Oktober in Winterschlaf geht, wird Helmut Schönekess noch ein bisschen weiterarbeiten.
Die drei angestellten Schiffsführer zählen an der Pontonbrücke in Bochum-Dahlhausen den Verkehr, bevor sie ihren Jahresurlaub antreten. Ab Februar machen sie die „Hardenstein“ dann wieder fit für die neue Saison – Malerarbeiten, Reparaturen, was halt so anfällt.
Christoph Vogel ist der Einzige der sechs Ehrenamtlichen, der in der Coronazeit auf der Fähre ausgeholfen hat – sie alle zählen schon aufgrund ihres Alters zur Risikogruppe. Vogel, der begeisterte Segler, kann aber nicht ohne – vor allem nicht, ohne den Touristen Dönekes über das Ruhrtal zu erzählen. „Ich bin schließlich Botschafter der Region.“