Witten. Ein Mann im Glück: Der Wittener Ulrich Noelle bekam durch die Stadtarchivarin private Dokumente seiner Mutter zurück. Sie galten als verschollen.

An was sich ältere Jahrgänge noch gut erinnern können: Im Ruhr-Gymnasium gab es einmal ein kleines Schulmuseum. Zu sehen waren dort Wandbilder und Landkarten, mit denen Kinder um 1900 lernten. Schätze, die 1987 auf dem Dachboden der Borbachschule entdeckt und dann im Ruhr-Gymnasium gezeigt wurden. Die Wittenerin Herta Birx gab persönliche Dokumente aus ihrer Schulzeit ins Museum. Später galten ihre Leihgaben als verschollen, was die Spitzenturnerin aus Witten sehr traurig machte. Jetzt hat Stadtarchivarin Martina Kliner-Fruck die verschwundenen Dokumente wiederentdeckt.

Jährlich über 2000 Anfragen

Das Wittener Stadtarchiv erhält jährlich über 2000 Anfragen zu den unterschiedlichsten Themen. Derzeit ist das Archiv an der Bergerstraße 25 aufgrund der Corona-Lage für Gäste geschlossen. Alles, was möglich ist, wird auf digitalem Weg erledigt.

Wer Archivgut vor Ort sichten möchte, muss dies im Saalbau tun. Dort wurde für das Wittener Stadtarchiv eine provisorische Leseecke im ersten Stock eingerichtet.

„Wenn das meine Mutter noch erlebt hätte“, freut sich Ulrich Noelle, der Sohn von Herta Birx. Man sieht es dem 63-Jährigen an, dass er gerührt ist. Dank Martina Kliner-Fruck hat er Dinge zurückbekommen, die seiner 2003 verstorbenen Mutter sehr am Herzen lagen, wie er sagt. Herta Birx hatte dem Schulmuseum eigene Zeugnisse aus den 30er Jahren überlassen, ein Diktat- und ein Aufsatzheft aus ihrer Schulzeit, außerdem ein Zeugnisbuch ihrer 1890 geborenen Mutter, die einst noch die evangelische Volksschule zu Heven-Wannen besuchte.

Turnerin aus Witten kurz vor den Olympischen Spielen 1936 aus dem Kader genommen

Die Stadtarchivarin hat all dies auf dem Dachboden der Gerichtsschule gefunden, wo das ehemalige Schulmuseum des Ruhr-Gymnasiums vor Jahren eingelagert worden war. Darunter auch Schulbänke und präparierte Tiere. Bei der Sichtung stieß die Archivarin auf die verschollen geglaubten Dokumente von Herta Birx. Martina Kliner-Fruck hat Kontakt zu deren Sohn Ulrich Noelle, weil dieser im Stadtarchiv auch eigene Familienforschung betreibt.

Ein Foto von Turnerin Herta Birx, geschossen 1954 auf einem Gauturnfest im sauerländischen Menden.
Ein Foto von Turnerin Herta Birx, geschossen 1954 auf einem Gauturnfest im sauerländischen Menden. © Quelle: Ulrich Noelle

Herta Birx war in Witten – wie ihr Vater Fritz, der sie förderte – sehr bekannt als Turnerin. „Sie war mehrfache Westfalen-Meisterin, Deutsche Meisterin, sollte auch an den Olympischen Spielen 1936 in Berlin teilnehmen“, erzählt ihr Sohn Ulrich Noelle. Da die Mutter in der NS-Zeit aber „nicht linientreu“ gewesen sei, sei sie kurz vor Beginn der Olympischen Spiele wieder aus dem Kader herausgenommen worden. Während des Zweiten Weltkriegs hatte die Wittenerin ihre Arbeitsstelle als Stenotypistin bei der Wittener Maschinenfabrik Heinrich Korfmann verloren. Ihre Verfehlung: Sie war sonntags nicht zur sogenannten Panzerschicht erschienen, eine Sonderschicht für die Kriegsproduktion, so Kliner-Fruck. „Ich denke, sie hat stattdessen trainiert“, vermutet ihr Sohn.

Zur Museumseröffnung für 500 DM Kartoffelsalat und Schnittchen aufgetischt

Ulrich Noelle kann seine Familiengeschichte mittlerweile bis 1683 zurückverfolgen. „Da sind über 800 Menschen im Stammbaum.“ Für seine heute zehnjährige Enkelin will er alles aufschreiben, was er schon über seine Familie zusammentragen konnte und noch zusammentragen wird.

Eine schöne Erinnerung: So sah Herta Birx als junge Frau aus.
Eine schöne Erinnerung: So sah Herta Birx als junge Frau aus. © Quelle: Ulrich Noelle

Stadtarchivarin Martina Kliner-Fruck kommt noch einmal zurück auf die Eröffnung des kleinen Schulmuseums im Ruhr-Gymnasium am 15. September 1988. Dass dies eine große Sache gewesen sei, zeige auch der Umstand, dass dort für 500 Deutsche Mark Kartoffelsalat und Schnittchen aufgetischt wurden.

„Nicht nur die Schulräte aus dem EN-Kreis kamen zur Eröffnung, auch Herta Birx war damals eingeladen.“ Bei der Sichtung des historischen Schulmaterials auf dem Dachboden der Gerichtsschule fiel der Archivarin auch eine Zeichenmappe des Schülers Wilhelm Dipp auf, die Zeichnungen aus der Zeit von 1941 bis 1945 enthält. Kliner-Fruck würde die Mappe gerne an die Familie Dipp zurückgeben. „Wenn sie Interesse daran hat, soll sie sich bei mir melden.“