Witten. Das neue Märkische Jahrbuch für Geschichte ist da. Leser lernen den Unternehmer Harkort ebenso kennen wie den Messerschleifer Henricus Nippus.

Es erscheint einmal im Jahr – zur Freude aller, die sich für die Geschichte der ehemaligen Grafschaft Mark interessieren, zu der einst auch Witten gehörte. Das neue Märkische Jahrbuch ist über 270 Seiten stark. In neun Beiträgen erfährt der Leser unter anderem wie die Industrie an die Ruhr kam, wie der Unternehmer Friedrich Harkort (1793-1880) auf der Burg Wetter Industriegeschichte schrieb und wie es der Schleiferfamilie Nippus einst in Sprockhövel erging.

Mit dem Unternehmer Friedrich Harkort und seiner „Mechanischen Werkstätte“ beschäftigt sich der ehemalige EN-Kreisarchivar Dietrich Thier. Harkort war auch Schwiegervater des Wittener Industriellen und Politikers Louis Constanz Berger (1829-1891), an den das Berger-Denkmal auf dem Hohenstein erinnert. Friedrich Harkort, dessen „Mechanische Werkstätte“ seit 1819 auf der Burg Wetter zu finden war, betrieb die erste Maschinenbaufabrik der Grafschaft Mark. Das dafür notwendige Know-how sicherte er sich durch die Beschäftigung englischer Arbeitskräfte.

Friedrich Harkort (1793-1880) schrieb auf der Burg Wetter Industriegeschichte. Sein Wissen kam nach Ansicht von Historiker Dietrich Thier später auch der Steinhauser Hütte in Witten zugute.  
Friedrich Harkort (1793-1880) schrieb auf der Burg Wetter Industriegeschichte. Sein Wissen kam nach Ansicht von Historiker Dietrich Thier später auch der Steinhauser Hütte in Witten zugute.   © Stadtarchiv Wetter

Abnehmer der Harkortschen Maschinen waren neben den Zechen des Ruhrgebiets und den Wuppertaler Textilfabriken auch schlesische, sächsische und böhmische Firmen, so Dietrich Thier. Der betont: „Das Wirken Harkorts ist für die industrielle Entwicklung des Ruhrgebietes hinsichtlich des Maschinenbaus richtungsweisend.“

Auch die Steinhauser Hütte in Witten profitierte von Harkort

Von Harkorts Wissen über die Stahlherstellung nach dem sogenannten englischen Puddelverfahren habe später auch die Steinhauser Hütte in Witten profitiert, betont Historiker Thier. Die Überreste der Hütte auf der Fläche des neuen Gewerbegebiets Drei Könige an der Herbeder Straße sollen durch ein „Archäologisches Fenster“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Der Historiker Ralf Molkenthin beschreibt im Märkischen Jahrbuch, dass die industrielle Geschichte des Ruhrgebiets kaum mehr als 250 Jahre umfasst. Molkenthin: „Alle großen Innovationen, die für die Industrialisierung notwendig waren, stammten ursprünglich aus England.“ Die Industrie in Deutschland habe sich ab den 1830er Jahren „langsam auf den Weg“ gemacht.

Johann Friedrich Lohmann aus Witten war ein Pionier in der Stahlherstellung

Der Verein für Orts- und Heimatkunde

Der 119. Band des Märkischen Jahrbuchs für Geschichte ist im Bergischen Verlag (Remscheid) erschienen. Herausgeber sind im Auftrag des Vereins für Orts- und Heimatkunde in der Grafschaft Mark der ehemalige Kreisarchivar Dr. Dietrich Thier, Stefan Pätzold, Hardy Priester und Olaf Schmidt-Rutsch.

Das 272-Seiten-Buch kostet 25 Euro. Der Verein für Orts- und Heimatkunde (VOHM) wurde 1886 gegründet und beschäftigt sich heute mit der Wittener Stadtgeschichte sowie der Geschichte des Ruhrgebiets und der Kreise, die einst die Grafschaft Mark ausgemacht haben. Der Verein hat seinen Sitz im Märkischen Museum (www.vohm.de).

Um 1800 waren in der Grafschaft Mark laut Molkenthin 158 Steinkohlezechen in Betrieb, die 1700 Bergleute beschäftigten. „Die Fördermenge belief sich auf 231.000 Tonnen Steinkohle an der Wende zum 19. Jahrhundert.“ Als sich im Ruhrgebiet um 1850 der koksbefeuerte Hochofen durchsetzte, „wurden die Steinkohlezechen für die Hüttenindustrie wichtig und damit zum Standortvorteil für das Ruhrgebiet“, so Molkenthin.

Im Ruhrgebiet habe es mehrere Pioniere der Tiegelstahlherstellung gegeben. Zu diesen zählte auch der Wittener Johann Friedrich Lohmann (1755-1824), der im Wittener Haus Berge, dem heutigen Haus Witten, 1790 eine „Stahlfabrik“ einrichtete.

Was eine Schleiferfamilie aus dem 18. Jahrhundert mit der Paasmühle zu tun hat

Der Jahrbuch-Leser lernt auch die Schleiferfamilie Nippus kennen, die im 18. Jahrhundert aus dem Raum Solingen in die Grafschaft Mark nach Niederstüter einwanderte, heute ein Ortsteil Sprockhövels und Hattingens. Die Geschichte der Autoren Peter Kuhweide und Christian F. Seidler beginnt 1760 mit dem Messerschleifer Henricus Nippus, seiner Frau Catharina Margaretha Dinger und ihren zahlreichen Kindern. Der erste Schleifkotten des Henricus Nippus lag am Paasbach in Niederstüter. Das Anwesen heißt heute Paasmühle und gehört zu Hattingen. Es wurde vom Großvater des Wittener Architekten Thorsten Kestner gekauft. Kestner unterhält hier heute mit einem ehrenamtlichen Helfer-Team eine Pflegestation für Eulen, Greif- und Wasservögel, kümmert sich liebevoll um verletzte, verwaiste und kranke Vögel.