Witten. Die Notbetreuung in Kitas wurde gelockert. Eine Erzieherin aus Witten kritisiert das scharf und fordert mehr Schutz. Sie ist damit nicht allein.
Seit Montag gilt in NRW eine neue Regelung für die Notbetreuung von Kindern in Kitas und Schulen. Eine Erzieherin aus Witten kritisiert die Änderungen scharf - und ist damit nicht alleine.
"Als wir von den Lockungen gehört haben, waren wir schockiert", sagt Sabine R. (Name von der Redaktion geändert). Sie arbeitet in einer städtischen Kita, möchte deshalb lieber anonym bleiben. Um den Betrieb der kritischen Infrastruktur sicherzustellen, können nach Wunsch der Landesregierung jetzt auch Kinder betreut werden, wenn nur ein Elternteil eine sogenannte „Schlüsselperson“ ist. Zuvor mussten beide Elternteile als solche eingestuft werden.
Erzieherin: Sicherheitsabstand in Kita-Betreuung unmöglich
"Das widerspricht all dem, was sonst in der Krise gefordert wird", sagt die Wittenerin. So werden Spielplätze gesperrt, damit Kinder dort nicht zusammen kommen - gleichzeitig treffen sie aber nun vermehrt wieder in den Kitas aufeinander. "Wir fürchten, dass wir hier nächste Woche wieder volles Haus haben", so die städtische Angestellte.
Ganz zu schweigen vom erforderlichen Sicherheitsabstand von zwei Metern. Diesen könne man in der Betreuung kleiner Kinder keinesfalls umsetzen. "Der Job fordert Nähe und Zuneigung", sagt die Erzieherin. Wickeln, Zähneputzen, Rotznasen abwischen und Tränen trocknen: All das ist schließlich nicht ohne Körperkontakt möglich. Und Schutzkleidung haben die Pädagogen ohnehin nicht.
Erzieherinnen aus Witten fordern besseren Schutz
"Es ist ja nicht so, dass wir den Job nicht gerne machen", sagt Sabine R., die ausdrücklich nicht nur für sich selbst, sondern für viele andere Kollegen sprechen will. Über verschiedene Gruppen in sozialen Netzwerken sei man in regem Austausch. Auch sei man sich der Verantwortung bewusst, einen Beitrag zu leisten, um in der Krise das Land am Laufen zu halten. "Wir fragen uns aber mit Wut im Bauch: Wer schützt uns?"
Schließlich können Kinder das Sars-CoV-2-Virus übertragen, selbst wenn sie keine Krankheitssymptome zeigen. Kommen nun wieder mehr Kinder und Betreuer zusammen, sehen die Erzieher die Gefahr, dass sich das Virus so leichter ausbreiten kann.
Wittenerin fürchtet Verwandte anzustecken
"Ich lebe in einem Haushalt mit zwei Menschen, die zu Risikogruppen gehören. Was ist, wenn ich mich anstecke und das weitergebe?" sorgt sich Sabine R. So wir ihr gehe es auch anderen Kollegen. Bislang werde aber nur berücksichtigt, wenn eine Mitarbeiterin selbst ein erhöhtes Risiko, etwa wegen einer Vorerkrankung, habe.
"Die Landesregierung sollte ihre Entscheidung überdenken, die Vorgaben zu lockern", sagt die Wittenerin. Und ist damit nicht allein. So läuft bereits eine landesweite Petition, in der Ministerpräsident Armin Laschet aufgefordert wird, den Erlass vom vergangenen Freitag rückgängig zu machen. Bis Dienstagnachmittag hatten schon über 55.000 Erzieher aus ganz NRW unterschrieben.
Auch Verdi NRW kritisiert die "massenhaften Sozialkontakte ohne ausreichenden Schutz" in Kitas und OGS. Die derzeitige Hauptprämisse „Sozialkontakte vermeiden“ werde völlig ad absurdum geführt, sagt Fachbereichsleiterin Sabine Uhlenkott. Die Gewerkschaft fordert deshalb auch Schutzmittel wie Masken und Desinfektionsmittel für die Einrichtungen.
>>> Info: Grundschulrektorin veröffentlicht Video
Susanne Daum, Leiterin der Bruchschule, hat wegen der veränderten Regelungen per Videobotschaft einen Appell an die Eltern ihrer Schüler gerichtet. Diese sollen ihre Kinder wirklich nur dann bringen, wenn es gar nicht anderes gehe. "Denn der Kontakt in der Schule birgt auch für das Kind und damit auch die Eltern ein Risiko, sich anzustecken", so Daum.
Bislang laufe der Notbetrieb in den Grundschulen aber weiterhin ruhig, so die Sprecherin der Grundschulrektoren. Nur einige wenige Kinder seien seit Montag hinzugekommen.