Witten. „Wir sind schockiert.“ Viele Wittener Politiker reagierten heftig auf die Thüringen-Wahl. Nur ein CDU-Mann gratulierte – etwas zu früh.
Entsetzen und Sprachlosigkeit – das ist es, was die meisten Wittener Politiker nach der Wahl des FDP-Mannes zum Ministerpräsidenten von Thüringen mit Stimmen der AfD empfunden haben. Dass Kemmerich inzwischen zurückgetreten ist, lässt viele aufatmen. Nur ein Lokalpolitiker hatte dem Liberalen schon zum neuen Amt gratuliert.
FDP-Fraktionsvorsitzender Frank-Steffen Fröhlich fand kaum Worte, als von Rücktritt noch keine Rede war. Nur so viel: „Was die da gemacht haben, geht gar nicht. So unerfahren und dumm kann man nicht sein. Davon kann man sich nur distanzieren. Das hat nichts mit uns zu tun.“ Kemmerich, sagte der Wittener FDP-Mann, „hätte die Wahl gar nicht annehmen dürfen“.
Wittener Grüne: Der Rücktritt ist die logische Konsequenz aus dem Desaster
Joachim Drell aus dem Vorstand der Wittener Grünen reagierte gefasster. „Was in Thüringen geschehen ist, ist ein Tabubruch. Es ist schon einzigartig, dass sich CDU und FDP auf ein derartiges Ränkespiel mit der AFD eingelassen haben.“ Der Rücktritt des FDP-Ministerpräsidenten sei die logische Konsequenz aus dem Desaster.
Erschüttert zeigte sich auch Martin Strautz, Fraktionsgeschäftsführer des Bürgerforums. „Ich finde das ganz furchtbar.“ Er plädiere für Neuwahlen. Dem schloss sich Ulla Weiß von der Linkspartei an. „Ich unterstütze die Forderung der Kanzlerin und aller demokratischen Parteien nach Neuwahlen. „Es kann nicht sein, dass man die AfD auf die krumme Tour hoffähig macht“, sagte sie geschockt. Weiß befürchtet: „Immer mehr Menschen werden sich trauen, die AfD zu wählen.“ In Sorge sei sie, dass auch die Politik in Witten nach rechts rückt.
„Ich stehe neben mir. Ich kann’s nicht fassen“, schilderte Roland Löpke von den Piraten seine erste Reaktion. Er fühlte sich wie aus einem „bösen Traum“ erwacht. „Ich habe nicht wirklich verstanden, wie man so handeln kann.“ Der Schaden, der dadurch entstanden sei, lasse sich nicht reparieren. „Statt wirklich Politik zu machen, wurde hier taktiert und gezeigt, wer der Stärkere ist.“ Neuwahlen seien unumgänglich.
SPD Witten erhebt Vorwürfe gegen CDU-Ratsherr
Auch die Sozialdemokraten zeigten sich entsetzt über eine Wahl, „die nur möglich war mit Stimmen von Nazis der AfD“. Einen über Jahrzehnte selbstverständlichen Konsens unter Demokraten – „kein Pakt mit Faschisten“ – habe die FDP an einem Tag über Bord geworfen, sind sich Fraktion und Stadtverband sowie Bundestagsabgeordneter Ralf Kapschack und Landtagsabgeordnete Nadja Büteführ einig.
Die SPD erhebt schwere Vorwürfe gegen die CDU. Sie mache dieses „unsägliche Schauspiel“ mit. Unions-Ratsherr Simon Nowack applaudiere der Wahl sogar öffentlich auf seinem Facebook-Profil. „Unter Demokraten gehört es sich, einem Wahlsieger zu gratulieren“, entgegnete jener. „Wir wissen am Ende nicht, wer wen bei einer geheimen Wahl gewählt hat“, so Nowack. Auf Facebook schreibt er: „Mir ist es lieber, dass ohne Absprachen Extremisten einen Demokraten wählen, als wenn Demokraten einen Extremisten wählen.“
Nowack: „Habe keinerlei Nachholbedarf bei Abgrenzung zu politischen Rändern“
Im Übrigen habe er „keinerlei Nachholbedarf, was die Abgrenzung zu den politischen Rändern angeht“, betont Nowack. Im Übrigen hätten SPD und Grüne im dritten Wahlgang auch die Möglichkeit gehabt, statt eines Kandidaten des linken politischen Randes einen Kandidaten der demokratischen Mitte zu wählen. Nowack: „Die nun geforderten Neuwahlen werden keineswegs dazu führen, die demokratische Mitte zu stärken.“
CDU-Vorsitzender Ulrich Oberste-Padtberg bewertet die Ereignisse als „schwierige Situation“ und das Abstimmungsergebnis als „schlimmes Zufallsprodukt“. Er hätte sich „genau so einen Aufschrei gewünscht“, als vor fünf Jahren in Thüringen mit Bodo Ramelow ein linker Ministerpräsident gewählt wurde. Oberste-Padtberg: „Die Zusammenarbeit mit Extremen darf für alle Parteien nicht in Frage kommen.“ Nur in Thüringen könne man beurteilen, ob es Absprachen gegeben habe. Ob es richtig sei, nach Neuwahlen zu rufen, nur weil das Ergebnis nicht passe, bezweifle er.