Witten. Entsetzt sind junge Leute in Witten über die Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD – und demonstrierten vor dem Rathaus.
Sie tanzen und singen auf dem Rathausplatz, doch der Anlass ist kein Partyspaß: Etwa 50 junge Leute protestieren am Donnerstagmorgen (6.2.) gegen die Wahl des neuen thüringischen Ministerpräsidenten, der offenbar mit den Stimmen der AfD ins Amt gekommen ist. „Das hat uns sehr entsetzt“, sagt Johannes Hofmann (24). Da ahnt er noch nicht, dass FDP-Mann Thomas Kemmerich wenige Stunden später zurücktritt.
Als er am Mittwochabend die Nachricht erfuhr, sind er und Anna Hürten (26) sofort zur Polizei, um für den nächsten Morgen eine Demonstration anzumelden. Es ist das erste Mal, dass sie so handeln. Über die sozialen Netzwerke haben sie rund 50 Gleichgesinnte zusammengetrommelt, junge Leute vor allem, die meisten Studierende der Uni Witten/Herdecke. Um halb zehn stehen sie vor dem Rathaus und halten eilig mit Filzstift geschriebene Pappschilder in die Höhe: „Nie wieder Faschismus“ – „Rücktritt und Neuwahlen“.
Die jungen Wittener protestieren mit Reden und Liedern
Ein paar Vorbeieilende bleiben stehen, hören den schnell vorbereiteten Reden zu und wie die jungen Menschen das Anti-Nazi-Lied „Schrei nach Liebe“ singen, ja, beinahe hinausschreien. „Du bist wirklich saudumm“, so beginnt die erste Strophe.
Johannes Hofmann – er studiert in Witten Politik, Wirtschaft und Philosophie – fasst in seiner Ansprache zusammen, was vermutlich die meisten hier denken: „Wir sind alle aus unterschiedlichen Motiven hier. Aus Wut, aus Angst, aus Verzweiflung oder Trotz. Aber ich denke, uns alle eint das Gefühl, dass wir nicht einfach so weitermachen können.“ Die AfD schüre seit Jahren Hass und Rassismus. Hoffman: „Wir dürfen nicht akzeptieren, dass politische Parteien der so genannten bürgerlichen Mitte sich von der AfD in unseren Parlamenten zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Das hat nichts mit Demokratie zu tun, das ist das Ende unserer Demokratie.“
26-Jährige Wittenerin: Die Stimme zu erheben – das ist für mich Demokratie
„Es ist das erste Mal, dass die AfD an einem Ministerposten beteiligt ist“, sagt Hofmann am Morgen. Damit habe die Kooperation unter den Politikern eine andere Dimension erreicht. Anna Hürten, die Sozialarbeiterin ist, erinnert an den historischen Aspekt: „In Thüringen war damals die NSDAP erstmals in einem Landtag vertreten.“
Von der Wittener FDP fordern die jungen Leute, dass sie sich von den Entscheidungen in Thüringen distanziere. Und nicht nur sie. „Wir hoffen“, sagt Hofmann, „dass sich durch die überall aufkommenden Demos der Druck erhöht.“ Präsenz zeigen sei jetzt wichtig. „Und die Stimme zu erheben“, ergänzt Anna Hürten. Das sei für sie Demokratie. Man dürfe sich, appelliert Hofmann weiter, „nicht an das Gefühl gewöhnen, dass die AfD mit bürgerlichen Parteien kooperiert“. Das sei so wie die leidige Tatsache, dass Trump Präsident der Vereinigten Staaten geworden ist.
66-jähriger Wittener ist vom Engagement der jungen Leute begeistert
Wolfgang Sauer kann all dem nur zustimmen. Der 66-Jährige hatte gerade im Rathaus zu tun. Als er die kleine Menge auf dem Platz gesehen hat, dachte er zunächst, es sei wieder „Fridays for Future“-Zeit. Ebenso wie er am Mittwochabend dachte, die Wahl in Thüringen sei „Realsatire“. Vom Engagement der jungen Menschen ist er begeistert. „Ich bin ein alter Hippie, war in der Anti-Atomkraft-Bewegung.“ Was in Thüringen passiert ist, verurteile er aufs Schärfste. Seine Erklärung für das, was gerade passiert: „Die AfD liefert einfache Antworten und die Leute fallen darauf herein.“
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