Witten. Margarethe (78) ist psychisch krank. Dass die Pläne für eine Psychiatrie in Witten zu scheitern drohen, empört sie. „Wir zählen nicht“, sagt sie.
Sie haben die ganze Zeit verfolgt, wie sich der Streit um die neue Psychiatrie in Witten entwickelt. Nun melden sich die Betroffenen zu Wort, denn sie sind sauer: „Da wird über unsere Köpfe entschieden“, sagt Margarethe. Die 78-Jährige besucht regelmäßig den Ü-65-Treff des Vereins Viadukt, der die psycho-soziale Versorgung in der Stadt fördert. Sie wünscht sich nichts sehnlicher als eine Möglichkeit, in Witten stationär behandelt werden zu können. „Das wäre solch eine Erleichterung.“
Sie sagt: „Wenn ich was am Blinddarm habe oder einen gebrochenen Arm, dann kann ich mir aussuchen, wo ich behandelt werde.“ Doch das Krankenhaus Herdecke sei für sie nicht zuständig, auch die Klinik in Lütgendortmund nehme keine Patienten mehr aus anderen Städten auf. Also muss Margarethe nach Niederwenigern – mit dem Bus hin und zurück, inklusive Rollator und Köfferchen. Das dauere mindestens eine Stunde, wenn das Umsteigen in den Anschlussbus in Hattingen klappt. Ein Taxi könne sie sich bei ihrer schmalen Rente nicht leisten. Und jemanden, der sie bringen könnte, gibt es nicht. Ihr Mann ist vor drei Jahren gestorben.
Kompromiss zu neuer Psychiatrie in Witten wohl gescheitert
„Wenn ich morgens um sechs die Zeitung reinhole, gucke ich als erstes, was es wieder Neues gibt“, sagt die Frau, die ihren richtigen Namen nicht in den Medien lesen möchte. Denn psychisch krank zu sein, das bedeute nach wie vor ein Stigma, sagt die Wittenerin. Was sie über die Planungen in Sachen Psychiatrie gerade wieder erfahren hat, lässt sie verzweifeln. Denn selbst ein Kompromiss ist gescheitert.
Die Verwaltungsleiter der Krankenhäuser in Hattingen und Herdecke sollen den Vorschlag des Gesundheitsministeriums abgelehnt haben, statt der geplanten 79 nur 50 vollstationäre Betten am Ev. Krankenhaus in Witten zu schaffen, wo die Psychiatrie gebaut werden soll, und statt 21 nur 20 Tagesklinikplätze. Das Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke und das Elisabeth-Krankenhaus in Hattingen wollen selbst um jeweils 40 Betten erweitern. Laut Kompromiss sollen sie je nur die Hälfte bekommen. „Nicht wir zählen, sondern nur die wirtschaftlichen Interessen der Kliniken“, sagt Margarethe.
Sechs Wochen hat die 78-Jährige in Niederwenigern verbracht
Sechs Wochen lang hat sie im vergangenen Jahr in Niederwenigern verbracht. Nicht nur für sie ist es schwierig, dorthin zu gelangen: „In der Zeit habe ich nur viermal Besuch bekommen. Ältere Menschen machen sich nicht extra auf den Weg dorthin.“
Die 78-Jährige hatte schon in jungen Jahren Depressionen und Angstzustände. Jahrelang ging es ihr ganz gut. „Mein Mann war sehr verständnisvoll und hat mich stark unterstützt.“ Das fehle ihr jetzt. Am liebsten wolle sie vor ihrer Angst weglaufen. „Aber das geht ja nicht.“ Nachts kreist das Gedankenkarussell und lässt sie kaum schlafen. Vor allem hat sie Angst, wieder in die Klinik zu müssen.
Brief an Minister Laumann und Landrat Schade geschrieben
Sogar an Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann und an Landrat Olaf Schade hat die politisch interessierte Frau geschrieben. Allen Mut habe sie dafür zusammengenommen und sogar Unterschriften gesammelt. Alle im Viadukt-Treff hätten sie unterstützt. Denn alle müssen, wenn sie stationär behandelt werden, den umständlichen Weg nach Niederwenigern auf sich nehmen.
Viadukt bietet Treff für Ü-65-Jährige
Seit Dezember 2013 bietet der Verein Viadukt den Ü-65-Treff an der Ruhrstraße 64 an, der barrierefrei zu erreichen ist. Er richtet sich an Menschen mit psychischen Erkrankungen, die inzwischen in Rente sind und deshalb die Tagesstätte des Vereins nicht mehr besuchen können. Etwa zehn Betroffene sind regelmäßig dort.
Der Treff ist montags bis freitags von 9 bis 14 Uhr geöffnet. Die Besucher können hier in einem sicheren Rahmen Aktivitäten des täglichen Lebens nachgehen. Sie frühstücken gemeinsam und essen zu Mittag, gehen einkaufen oder spazieren. Wer mal reinschnuppern möchte, der kann sich melden unter 9640236
„Zu viele Psychiatrie-Plätze kann es gar nicht geben“, sagt Viadukt-Mitarbeiterin Inge Gregorincic. Denn es gebe immer mehr psychisch kranke Menschen. Allein Viadukt betreue rund 170 Klienten. Und auch die Wartezeit in der psychiatrischen Tagesklinik an der Pferdebachstraße, die zu Herdecke gehört, betrage zum Beispiel rund vier Monate. „Aber“, sagt Margarethe, „wenn es einem schlecht geht, kann man nicht so lange warten“. Die Hoffnung auf eine Psychiatrie in Witten will sie trotzdem nicht aufgeben.