Witten. An Wittens Pestalozzischule ist die Lage angespannt. Die Förderschule platzt im neuen Schuljahr aus allen Nähten. Hilfe ist noch nicht in Sicht.
Die Situation an der Pestalozzischule in Witten ist äußerst angespannt. 40 Kinder mehr als im vergangenen Schuljahr wurden diesmal an der Förderschule angemeldet. Sie hat jetzt 232 statt 192 Schüler. Zum ersten Mal ist die Klasse 6 dreizügig. Dafür reichen die Lehrer kaum aus, Fächer können nicht abgedeckt werden, auch räumlich wird es eng, schlägt Schulleiterin Michaela Lohrmann Alarm.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Schule ab dem Jahr 2021/22 ihre bisherige Orientierungsstufe in den Klassen 5 und 6 für Kinder mit sozialem und emotionalem Förderbedarf voraussichtlich abschaffen soll – und nicht klar ist, was dann mit den betroffenen Schülern passiert.
Förderschwerpunkte: Lernen, Sprache sowie emotionale und soziale Entwicklung
Unter den Neuzugängen sind viele Rückläufer aus dem gemeinsamen Lernen (Inklusion) an den Regelschulen. „Die Kinder haben Frust hinter sich, weil sie in dem großen System nicht klargekommen sind“, sagt Michaela Lohrmann. Sie wieder aufzufangen, sei keine leichte Aufgabe.
Grundsätzlich unterrichtet die Pestalozzischule Kinder mit den drei Förderschwerpunkten Lernen, Sprache sowie emotionale und soziale Entwicklung (ESE) – wobei nicht immer von Anfang an klar sei, welches Kind welche Förderung benötige. Probleme in den Bereichen Lernen und Sprache haben etwa 70 Prozent der Schüler. Nur jene mit einem Lernproblem können die Schule derzeit durchgehend bis Klasse zehn besuchen. ESE-Kinder etwa wechseln nach der vierten Klasse meist auf Regelschulen.
Orientierungsstufe in Klassen 5 und 6 soll voraussichtlich abgeschafft werden
Die Orientierungsstufe für diese ESE-Kinder ist vor etwa acht Jahren mit einer Sondergenehmigung der Bezirksregierung eingerichtet worden. Sie ist für jene gedacht, die nicht von der ersten Klasse an die Pestalozzischule besuchen. „Wir haben festgestellt, dass wir nicht genug Zeit haben, sie angemessen zu fördern, wenn sie zum Beispiel erst in der dritten Klasse zu uns kommen und nach der vierten schon wieder gehen müssen“, erklärt Michaela Lohrmann.
Zudem, sagt sie, steige die Zahl der Kinder mit emotionalen und sozialen Problemen massiv an. Das habe gesellschaftliche Ursachen, vermutet die Schulleiterin. Diese Jungen und Mädchen haben große Probleme, Regeln einzuhalten, Grenzen zu akzeptieren, untereinander soziale Kompetenz zu entwickeln.
Busfahrt zu privater Förderschule in Ennepetal dauert eine Stunde
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Bislang habe es gut geklappt, sie nach der sechsten Klasse in Regelschulen unterzubringen oder in der Loher-Nocken-Schule in Ennepetal, einer privaten Förderschule mit ESE-Schwerpunkt. Dort werden aktuell etwa 90 Kinder unterrichtet. „Dort wird man auch bald an Grenzen stoßen“, befürchtet Lohrmann. Zudem würden viele Familien die einstündige Busfahrt dorthin scheuen. Schulen in Bochum und Gevelsberg dagegen seien längst voll belegt.
Ratlos reagierten auch die Mitglieder des Jugendhilfe- und Schulausschusses in ihrer letzten Sitzung am Dienstag. „Wir haben ein Problem“, so Dezernent Frank Schweppe. Eltern hätten begriffen, dass Inklusion in Regelschulen nicht so gut funktioniere. Als Beispiel nennt er die Holzkampschule. Dort nähmen aktuell drei Kinder mit geistigem Handicap am Unterricht teil. „Und die kommen nicht so klar.“
Stadt hat bis 2021/22 Zeit, eine „vernünftige Lösung“ zu finden
Bis zum Schuljahr 2021/22 habe die Stadt als Träger der Pestalozzischule Zeit, eine „vernünftige Lösung“ zu finden, sagt Michaela Lohrmann. Sie hofft, dass der EN-Kreis Verantwortung übernehmen wird. Gespräche mit der Kreisverwaltung habe es bereits gegeben. Konkrete Ergebnisse lassen wohl noch auf sich warten. Die Schulleiterin plädiert dafür, auf Dauer in Witten eine Art ESE-Dependance einer Förderschule aufzubauen. „Wir haben jedenfalls keinen Platz mehr.“
Bis dahin macht die Pestalozzischule das Beste aus der Situation. Wenn auch die Fächer Physik und Englisch gerade zu kurz kommen, sei man zumindest im Bereich Technik mit einer neuen Kollegin gut aufgestellt. Und man gehe neue Wege, um mit besonders schwierigen ESE-Kindern besser umgehen zu können. Lohrmann: „Wir lassen uns als Friedensstifterschule ausbilden und werden in zwei Wochen zertifiziert.“ Gestartet sei außerdem eine spezielle Klasse für Jugendliche, die den normalen Unterricht massiv torpediert hätten. Sie lernen nun zunächst andere Dinge in einem anderen Zeitplan. Lohrmann: „Auch das fordert uns heraus.“