Witten. Eine 29-Jährige, die viel bewegt hat. Die Schottin Ayesha Keller studiert in Witten und hat in Griechenland zwei Flüchtlingscamps mitgegründet.

Sie ist 29 Jahre jung und hat schon eine beeindruckende Biografie: Die Wittener Studentin Ayesha Keller ist in Schottland, Edinburgh, aufgewachsen. Sie hat in Nordengland studiert und danach zwei Jahre viel Geld in Zürich verdient, wo sie für Firmen Mitarbeiter für IT-Jobs suchte. Geld, das sie nicht glücklich machte, nicht erfüllte. Die junge Frau wollte sich für Flüchtlinge engagieren und leitete in Griechenland 2015 und 2016 zwei Flüchtlingscamps. Ein Engagement, für das sie an der Universität Witten/Herdecke mit dem Preis des Deutschen Akademischen Austauschdienstes ausgezeichnet wurde.

Es gibt Menschen, die nennen die griechische Insel Lesbos die Insel der Verdammten. Im dort weltweit bekannten Flüchtlingslager Moria herrschen grauenhafte Zustände. Das Lager ist hoffnungslos überfüllt, Helfer und Ärzte arbeiten am Limit. Ayesha Keller war von November 2015 bis April 2016 auf der Insel, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Eigentlich wollte sie nur ein paar Tage dort sein, dann blieb sie ein Jahr in Griechenland. „Es war schlimmer, als es in den Medien gezeigt wurde“, sagt die Schottin. Mit anderen freiwilligen Helfern unter anderem aus der Schweiz, den Niederlanden und Deutschland hat sie auf Lesbos das Camp Olive Grove und die Organisation Better Days gegründet.

Aus einem Olivenhain wurde das Flüchtlingscamp Olive Grove

Der Grund sei gewesen, dass das Lager Moria damals bereits total überfüllt war, sagt Ayesha Keller. „Mittlerweile gibt es dort Menschen, die dort schon ein paar Jahre leben.“ 2000 Flüchtlinge kamen Ende 2015 nicht mehr ins Camp. Für sie gab es kein Essen, keine Toiletten, nur ein Vegetieren im Schlamm. Mit anderen freiwilligen Helfern fragte Ayesha Keller einen Bauern, ob man dessen Olivenhain mieten könne. Es war möglich.

Ayesha Keller im Februar 2016 auf Lesbos im Olive Grove-Camp im Gespräch mit einem Flüchtling.
Ayesha Keller im Februar 2016 auf Lesbos im Olive Grove-Camp im Gespräch mit einem Flüchtling. © Ayesha Keller

Der Start eines wilden Camps, geleitet unter anderem von Frauen und Männern aus der Schweiz, den Niederlanden und Deutschland. „Insgesamt waren dort über 40 Länder vertreten.“ Innerhalb von fünf Monaten seien rund 20.000 bis 30.000 Menschen durch dieses Lager gegangen, schätzt Keller.

„Täglich so viel Elend zu sehen, das war absolut schockierend“

Nach dem EU-Türkei-Abkommen, dem „Flüchtlingsdeal“ im März 2016, wurde das Camp Olive Grove geschlossen. In der nordgriechischen Stadt Thessaloniki hat die Schottin dann die Flüchtlingsunterkunft Elpida mitgegründet. Elpida heißt Hoffnung auf Griechisch. Die Unterkunft war ein gemeinsames Projekt des griechischen Staates, eines privaten amerikanischen Geldgebers und der Radcliffe Stiftung.

Nach einem Jahr in Griechenland hatte Ayesha Keller einen Burnout, wie sie erzählt. „Täglich so viel Elend zu sehen, das war absolut schockierend“, das habe irgendwann ihre Kräfte überstiegen. Sie habe danach erst einmal zur Ruhe kommen müssen.

Künstler Ai Weiwei drehte für Flüchtlingsdoku auf Lesbos

Der weltbekannte chinesische Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei war im Frühjahr 2016 auf Lesbos. „Er hat dort für seinen Film Human Flow gedreht“, erzählt Keller, die Ai Weiwei bei den Dreharbeiten traf. Für die Flüchtlingsdokumentation hatte der Chinese mit 25 Teams in 23 Ländern gefilmt. Keller: „Auch US-Schauspielerin Angelina Jolie war auf der Insel.“ Die UN-Sonderbotschafterin für Flüchtlinge besuchte dort das Flüchtlingscamp Moria und sagte danach: „Ich hege keine großen Hoffnungen, dass das Drama der Flüchtlinge bald enden könnte.“

Ayesha Keller studiert seit 2017 an der Uni Witten/Herdecke und schreibt gerade an ihrer Masterarbeit.
Ayesha Keller studiert seit 2017 an der Uni Witten/Herdecke und schreibt gerade an ihrer Masterarbeit. © Barbara Zabka / FUNKE Foto Services

Ayesha Keller beeindruckte nicht das Zusammentreffen mit den Prominenten, sondern die schier unglaublichen Geschichten, die ihr Flüchtlinge erzählten sowie der Einsatz anderer Ehrenamtlicher, die aus vielen Ländern nach Lesbos gekommen waren, um zu helfen. „Ja, wir haben dort Leben gerettet und ich habe dort viele beeindruckende Menschen kennengelernt.“

Ein Chor mit Migranten trat im britischen Parlament auf

Bevor die Schottin im Oktober 2017 ihr Studium an der Universität Witten aufnahm, hat sie in England noch einen Chor mitgegründet, in dem Londoner und Migranten gemeinsam singen. „Er trat im Frühjahr 2018 sogar im britischen Parlament auf“, erzählt sie stolz. Jetzt sitzt Ayesha Keller an ihrer Masterarbeit. Sie hat in Witten den englischsprachigen Studiengang „PPE“ (Philosophy, Politics and Economics) absolviert. Ein Studiengang für künftige Führungskräfte in Politik und Wirtschaft. Was die 29-Jährige, die auch Studierenden-Sprecherin ihres Studiengangs war, damit beruflich machen möchte, weiß sie noch nicht. Aber sie würde gerne in Witten oder der Umgebung bleiben, sagt sie. Mal sehen, ob es klappt.