Witten. Bei Steger an der Ruhr scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Campingfreunde lieben die Ruhrgebietsidylle. Sogar Wittener machen dort Urlaub.

Schon der knapp zwei Kilometer lange Weg die schmale Uferstraße entlang versetzt die Gäste in Ferienstimmung. Wenn die Wohnbebauung endet und das letzte Stück über die holperige Piste den Urlauber Richtung Campingplatz führt, verwandelt sich die Landschaft in ein grünes Paradies. Links fließt die Ruhr, dahinter erhebt sich das Ardeygebirge. Rechts surren Pedelecs über den schattigen Ruhrtalradweg. Am Ende wartet eine Ruhrgebietsidylle: Peter Stegers Reich – und das vieler Naturliebhaber.

Die Sonne flirrt. Still ruht der Platz in Witten-Bommern. Irgendwo in der Ferne scheppert leise Geschirr. Ein Herr mit nichts als Badehose, Strohhut und Sonnenbrille spaziert umher. Auf der kleinen Wiese für die Durchgangsgäste haben sich zwei Paare in den Schatten der Hecken verkrochen. Frühstückreste stehen am späten Vormittag noch auf den Klapptischen. Warum schon aufstehen, wo es gerade so schön ist?

Mutter und Tochter testen den Wittener Ruhrtalradweg direkt vor der „Haustür“

Auf der Durchreise: Petra (li.) und Frieda Sturm aus Krefeld sind mit dem Fahrrad zum Zelten auf den Wittener Campingplatz Steger gekommen.
Auf der Durchreise: Petra (li.) und Frieda Sturm aus Krefeld sind mit dem Fahrrad zum Zelten auf den Wittener Campingplatz Steger gekommen. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Petra (52) und Frieda (15) Sturm aus Krefeld zieht es trotzdem weiter. Mutter und Tochter haben sich erstmals den Ruhrtalradweg vorgenommen, die ganze Strecke von Winterberg über Witten bis Duisburg. „Man kann ja auch mal Urlaub vor der eigenen Haustür machen“, sagt Mama Petra. Sie ist begeistert. „Die Berichte, die ich darüber gelesen habe, haben nicht zu viel versprochen.“ Sie lassen’s ruhig angehen in diesen heißen Zeiten. Mal schaffen sie 40 Kilometer am Tag, mal halt nur 20. Es drängt sie ja keiner.

Eine Nacht, länger wollten die Gäste vom Niederrhein nicht in Bommern bleiben. Das kleine Zelt ist schon wieder abgebaut. Die Schlafsäcke, die sie tatsächlich gebraucht haben, sind verpackt. „Wir schlafen gerne im Zelt. Das ist wie unser kleines Zuhause“, sagt Petra Sturm. Von Steger wird sie vor allem die Erinnerung an den Kartoffelsalat mitnehmen, den es in der Campingplatz-Kneipe gibt. „Der war superlecker.“

Schon die Kinder sind im Wohnwagen aufgewachsen

Zwei Meter weiter genießen Ursula Müller-Brackmann und Dieter Brackmann das Camper-Feeling – schon seit einer Woche. Im Hotel nächtigen, das ist nicht ihr Ding. „Das ist uns zu eng.“ Die Mönchengladbacher sind mit ihrem kleinen Wohnwagen, Baujahr 1984, hier. „Schon die Kinder sind damit aufgewachsen und lieben das immer noch“, sagt die 60-Jährige. „Man ist immer in der Natur. Und man erlebt immer was.“

Liebt das mobile Reisen: Ursula Müller-Brackmann aus Mönchengladbach macht eine Woche Urlaub bei Steger.
Liebt das mobile Reisen: Ursula Müller-Brackmann aus Mönchengladbach macht eine Woche Urlaub bei Steger. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Zum Beispiel sei der Wohnwagen in Holland mal abgesoffen. „Da hat’s aber auch geplästert.“ Oder kurz nach dem Mauerfall, da waren sie im Osten. „Da gab’s noch nicht ansatzweise West-Standard auf den Plätzen, höchstens ein Dixi-Klo, trotzdem West-Preise“, erinnert sich Dieter Brackmann (63). „Aber die Menschen waren total nett. Man hat sofort dazugehört.“

Die Tochter an der Ruhr-Uni besucht

Sonst reisen die beiden auch gern durch Schweden, Norwegen oder Frankreich. Jetzt haben sie ihre Tochter besucht, die an der Bochumer Ruhr-Uni studiert. Außerdem gibt er gerade einen Pantomime-Workshop in Langendreer und sie guckt sich derweil die Gegend an.

Noch gibt es 52 feste Stellplätze

Etwa 52 feste Stellplätze gibt es auf Peter Stegers Campingplatz am Ende der Bommeraner Uferstraße. „Wenn einer kündigt, belege ich den Platz nicht mehr neu“, sagt der 74-Jährige. Denn er benötige mehr Fläche für Touristen – der direkt vorbeiführende Ruhrtalradweg lässt grüßen.

Steger, der eigentlich Hans-Peter heißt, lebt mit Ehefrau Edeltraut seit 1970 in einem Haus auf dem Platz. Eine eigene Homepage hat er nicht. „Brauch ich nicht“, sagt er. Immer wieder berichten die Medien über den wohl originellsten Campingplatz in NRW. Oder, wie Steger jedem rät, der was über ihn wissen will: „Schauen Sie einfach in die WAZ.“

„Ich war im Stollen auf Nachtigall“, sagt Ursula Müller-Brackmann. Sie sei ja ein Zechenkind und in Hamm aufgewachsen. Der Vater war Bergmann. Mit dem Rad hat sie die Gegend erkundet. „Manchmal fehlt ein Schild an der richtigen Stelle.“ Gleich wollen sie zusammen zur Burgruine Hardenstein. Ein bisschen im Schatten sitzen und lesen.

Manchmal steht der Wohnwagen auch an der Nordsee

Die Muße hat Angela Dussin an diesem Tag ausnahmsweise nicht. Die 47-Jährige im schicken schwarzen Bikini saust gerade hin und her und bereitet alles für den Urlaub vor. Denn der findet nicht nur hier bei Steger statt, wo sie und ihr Mann Bernd (63) seit Jahren ihre Oase direkt an der Ruhr genießen. Einmal im Jahr geht’s nach Borkum. Aber der Wohnwagen muss mit und steht dann mal auf einem Vier-Sterne-Platz in Strandnähe.

Mit Liebe zum Detail: Viele Parzellen auf dem Wittener Campingplatz strotzen vor Deko.
Mit Liebe zum Detail: Viele Parzellen auf dem Wittener Campingplatz strotzen vor Deko. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Den Inseltrip machen die Wittener aber nur, damit Bernd, der gerade leere Flaschen wegbringt und Nachschub holt, wirklich mal nicht erreichbar ist. Denn ihm, den auch auf dem Platz alle nur als „Earny“ kennen, gehört der gleichnamige Musikladen. Und wer was von ihm will, der schaut bei Steger vorbei. Dort verbringen die Dussins jede freie Minute. „Wir kommen auch mal eben in der Mittagspause her. Was Schöneres gibt es nicht“, sagt „Frau Earny“, wie sie inzwischen genannt wird. „Wir schlafen sogar unter der Woche hier.“

Die „Earnys“ haben keinen Strom und kein Wasser

Obwohl Angela Dussin bei einem Reiseveranstalter arbeitet und schon viele Flecken auf der Welt gesehen hat, schwört sie auf den Wittener Campingplatz. Auf ihre Parzelle direkt am Fluss. Ohne Strom, ohne Wasser. „Ein Fernsehgerät brauchen wir hier nicht.“ Dafür dümpeln am eigenen Steg zwei Boote – eins mit Motor und ein altes Kanu, das schon ihrem Vater gehörte. „Wenn Sie abends rausfahren, das ist ein Traum.“ Angela Dussin schwärmt von Sonnenuntergängen und den vielen Tieren, die sie ständig zu Gesicht bekommen: Fische, Nutrias, Enten, Schwäne. „Zeit“, sagt sie, „spielt hier keine Rolle.“