Knöcheltiefe Schlaglöcher, jetzt im Winter gefüllt mit braunem Wasser, ein unbefestigter Fahrbandrand, in dessen schlammigen Boden man auszurutschen droht: Auf den ersten Blick wirkt die kurze, schiefe Straße nicht gerade wie eine der schönsten Straßen in Witten.
Doch die abgelegene Seitenstraße „Ruhrtal” in Herbede hat einiges zu bieten: Von einer Kung-Fu-Schule, einer Hundewiese, dem Vereinsheim der DLRG über ein islamisches Zentrum bis hin zu denkmalgeschützten Villen und einer mehr als 200 Jahre alten Wittener Traditionsfirma. Etwa um 1860 herum erwarb die Lohmann GmbH die damals nicht mehr rentable Kornmühle (Hausnummer 12) mit allen angrenzenden Ländereien vom Freiherrn von Elverfeldt.
Neben einigen Neubauten nahm das Stahlunternehmen viele Umbauten an den historischen Gebäuden auf der rechten Seite des Ruhrtals vor, ohne jedoch den Charme der Backstein- und Fachwerkhäuser zu mindern.
Heute ist in der ehemaligen Kornmühle das Firmenarchiv der Familie Lohmann zu finden. Das „Haus Schellenberg” mit der Hausnummer 14 kam später, um 1900, in den Besitz der Unternehmerfamilie. Dort kann man den Blick über die älteste erhaltene Fachwerk-Hofanlage in Herbede gleiten lassen. Mit barocken Stilelementen wie dem Treppengeländer am vorderen Eingang fühlt man sich ein bisschen wie in eine andere Zeit versetzt.
Doch das ist noch gar nichts, wenn man denn ein paar Schritte in die abzweigende Nebenstraße mit demselben Namen geht. Dort erstreckt sich zur Rechten die Villa Ruhrtal. Ein dreigeschossiges, fast schon monumentales Gebäude, das damals wie heute im Besitz von Unternehmern ist. 1895 ließ Friedrich Brinkmann, Chef einer Brauerei, den eindrucksvollen Bau errichten. 2007 kaufte Andreas Tuschen die Villa.
„Manchmal stehen Leute bei mir im Garten und fotografieren”, sagt der 40-jährige Kaufmann. Der junge Großeigentümer wollte zunächst nur seine Firma in die Villa einquartieren. Eine strategische Überlegung, denn Tuschen verkauft Einrichtungsgegenstände und Möbel. „Da bietet sich eine so wunderschöne Villa geradezu an”, sagt Tuschen. Nun wohnt er auch in dem riesigen Gebäude, das zudem Sitz von vier weiteren Firmen ist.
Obwohl Tuschen manchmal fremde Menschen aus seinem Garten bitten und auch schon einmal seine privaten Parkplätze direkt vor dem Haus von Volksfestbesuchern zurückerobern muss, verhält er sich ganz und gar nicht wie ein Großgrundbesitzer. In legerer Kleidung erklärt er die prunkvollen Verzierungen im imposanten Foyer des Hauses. „Ich bin da kein Experte, aber man vermutet, dass dieses Zeichen auf die Familie Brinkmann hinweist”, sagt er und zeigt auf einen ungewöhnlich verschnörkelten Davidsstern, denn „die Familie war jüdisch”.
„Es wäre interessant, wenn Leute, die sich auskennen, die Geschichte der Villa rekonstruieren könnten”, fügt er hinzu und fasst zusammen, was der Herbeder Heimatverein in der Schrift „90 Jahre Sparkasse in Herbede" herausfinden konnte: „Gegenüber war der Brauereibetrieb mit rund 40 Angestellten, über 30 Pferden und drei Lastkraftwagen.”
Der zugezogene Wittener liebt seine neue Heimat: „Ich finde es super hier, die Nachbarschaft ist toll.” Auch wenn man von gegenüber hört, „wenn bei Lohmanns der Hammer geschwungen wird. Aber das ist schließlich auch ein Gewerbegebiet”, sagt Andreas Tuschen.