Witten. . Über die Grundstücke von 25 Wittener Familien auf dem Schnee führt Amprion bald seine Höchstspannungsleitung. Anwohner vermissen Unterstützung.
Steht man im Garten von Familie Grimme, fällt der Blick weit übers Ruhrgebiet, aber vor allem auf drei Strommasten, die am Ende ihres Grundstücks stehen. Im Sommer sollen dort, am Oberen Grenzweg, schwere Baufahrzeuge anrücken und einige Masten austauschen. Im Garten der Grimmes würde dann ein 59 Meter hoher und zehn mal zehn Meter breiter Gigant stehen. Noch kämpfen die Anwohner vom Schnee gegen die Pläne des Netzbetreibers Amprion. Von der Stadt Witten fühlen sie sich dabei wenig unterstützt.
Während der Grenzweg auf Wittener Stadtgebiet liegt, wohnen die anderen Betroffenen in Herdecke oder Dortmund. Dort ist der Protest weit größer. Doch auch viele Wittener Einwohner des Stadtteils Schnee haben sich einer Herdecker Bürgerinitiative angeschlossen, die vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gegen die Arnsberger Bezirksregierung klagt.
Ist eine so große Trasse notwendig?
Herdecke ist von der Trasse besonders betroffen, da dort die Leitungen über ein Wohngebiet führen. Die Bürgermeisterin der Nachbarstadt, Katja Strauss-Köster (parteilos), hat nun eine Initiative für ein Moratorium gestartet. Sie bezieht sich dabei auf den Anfang des Jahres erfolgten Beschluss der Bundesregierung, aus der Kohleverstromung auszusteigen. Ob die Trasse in dieser Form überhaupt noch notwendig sei, fragt die Bürgermeisterin und fordert einen Aufschub der Bauaktivitäten. Die Bürgermeister der zwölf Städte, die entlang der Trasse liegen, sollten sich dem anschließen.
Anfang April hat der Netzbetreiber Amprion zwischen Dortmund-Kruckel und Hagen-Garenfeld mit den ersten Baumaßnahmen für die neue Stromtrasse begonnen. Für die Grimmes aus Schnee hieß das, dass 15 Bäume auf ihrer Streuobstwiese gefällt wurden.
Amprion wird nach dem Bau als Ausgleich neue Bäume pflanzen. „Aber deren Obst werden wir wohl nicht mehr ernten“, sagt Anita Grimme (67). Sie stellt klar, dass ihre Familie realistisch bleibe und nicht per se gegen die Trasse sei. „Wir haben sie ja schon im Garten.“ Seit 1932. Damals kämpfte schon ihr Großvater gegen die Masten, doch das öffentliche Interesse schafft in solchen Fällen Recht.
Anwohner fürchten gesundheitliche Schäden
Von Dortmund nach Dauersberg in Rheinland-Pfalz sollen die Stromleitungen statt 110 demnächst 380 Kilovolt führen. Die 25 Familien vom Grenzweg befürchten gesundheitliche Schäden, vor allem für nachfolgende Generationen. Wissenschaftlich bewiesen sei, dass elektromagnetische Strahlungen von Höchstspannungsleitungen Schäden, etwa Kinderleukämie, hervorrufen könnten. Ihre Bedenken teilten die Betroffenen Wittens Bürgermeisterin Sonja Leidemann schriftlich mit. Eine Antwort habe es nie gegeben.
Stadt Witten schließt sich Moratorium nicht an
Die Stadt Witten schließt sich dem Moratorium nicht an, teilte Sebastian Paulsberg, Leiter des Planungsamtes, gestern auf Anfrage mit. An die Bewohner des Grenzwegs werde demnächst eine schriftliche Stellungnahme dazu verschickt. Ein Grund für diese Haltung sei die Tatsache, dass kaum Wittener betroffen seien und die Leitung auch nicht durch dichtes Siedlungsgebiet führe.
Zudem habe die Bezirksregierung Arnsberg nach einem langwierigen Verfahren Amprion das Okay für den Baubeginn gegeben, so Paulsberg. „Amprion hat eine Genehmigung erhalten, die Bestandstrasse zu vergrößern. Ich finde es dann schwierig, diese Entscheidung auf Null zu setzen. Es ist für uns als Stadt schwierig zu beurteilen, wie sich der Kohleausstieg auswirken wird.“ Planerisch müsse man auch die Alternativen sehen. Da es fast unmöglich sei, im dicht besiedelten Ruhrgebiet eine neue Trasse zu ziehen, liege es nahe, den bestehenden Korridor zu erweitern.