Witten. . Viel zu wiegen war keine Voraussetzung, aber gern gesehen beim ersten Ü100-Event in der Werkstadt. Wer abgespeckt hat, fühlte sich weniger wohl.
„Ich wollte schon immer groß und stämmig sein. Ich steh’ auf Curvies“, sagt Björn Thies, dem die ein oder andere Rundung bei Frauen überhaupt nichts ausmacht. Die erste „Ü100“ in der großen Halle der Werkstadt ist also genau seine Party, die Party der „Kurvigen“.
Die Werkstadt, deren Ü-Parties sich vor allem auf das Alter der Gäste bezieht (über 30, über 40...), hat am Samstag erstmals zu der pfundigen Fete eingeladen. Über 100 Kilo zu wiegen, ist keine Voraussetzung für die Teilnahme, aber es erleichtert den Abend ungemein. „Ich hab’ mal ‘ne Freundin gehabt, die war dünn. Das ging ja mal gar nicht“, sagt Björn Thies, der aufgrund „stressiger Tage“ selbst 17 Kilo in den letzten vier Monaten abgenommen hat – und damit alles andere als zufrieden ist.
Eigentlich ist die „Ü100“ eine Disco-Veranstaltung wie viele. Auf den beiden Tanzflächen wird geschunkelt, getanzt oder einfach von bequemen Sofaecken aus zugeschaut. Der Alkohol fließt, aus den Lautsprechern schallt „Je ne parle pas francais“ von Namika.
Model für Übergrößen
Die Stimmung unter den gut 150 mehr oder weniger pfundigen Gästen, die bereits am frühen Abend feiern, ist familiär. „Die Ü100 ist eine Party, wo man Toleranz erlebt“, freut sich Sabrina Wickel (28). Keine blöden Blicke, keine dummen Sprüche. In mehr als 20 Facebook-Gruppen allein im Ruhrgebiet vernetzen sich die „Curvies“ – bilden Fahrgemeinschaften zu den Events. Sabrina Wickel sieht ihre 115 Kilo nicht als Nachteil. Statt Trübsal zu blasen, macht sich die 28-Jährige zunutze, was sie hat, und posiert seit fünf Jahren als Model für Übergrößen. „Ich sehe auf den Fotos, was ich aus mir rausholen kann.“
Die „Ü100“ macht das erste Mal Station in Witten. Wenn es nach Betreiber Ferdinand Trindade von der Event-Agentur „Terra Azul“ geht, kommt die Party auch 2020 wieder in die Werkstadt. „Die Location hat ihren eigenen Ruhrpott-Charme. Den muss man erst einmal auf sich wirken lassen“, findet er. Die Idee, eine Party für Menschen anzubieten, die nicht die Maße von „Germany’s Next Topmodel“ haben, kam ihm 2008. Seitdem habe er über 120 dieser Events auf die Beine gestellt. „Die Leute sind mal unter sich.“
Vanessa Hoziollek (22) ist eine der wenigen ganz Dünnen auf der Party. Freundin Yvonne Elena hat sie überredet, mitzukommen. „Man fühlt sich selbst etwas schlecht, man will ja nicht, dass die Leute falsch über einen denken“, sagt Vanessa Hoziollek. Sie brachte vor einem Jahr selbst noch 20 Kilo mehr als jetzt auf die Waage. Jetzt ist sie froh, bauchfrei tragen zu können. Vanessa weiß: Disziplin und Ausdauer sind neben der richtigen Ernährung und Sport entscheidend für eine gelungene Diät. Ihrer Freundin macht sie keine Vorwürfe. „Der Charakter blendet das Gewicht aus. Und nur das zählt.“
Sechs Packungen Gummibärchen
Wer wieviel ab- oder zugenommen hat, steht heute sowieso nicht im Vordergrund. Keiner soll hier ein schlechtes Gewissen haben. So bietet Christina Ebel in ihrem Bauchladen Süßes an: Schaummäuse, Gummibärchen und vieles mehr. Die Altenpflegerin hat 2015 bei einem „Candy-Girl-Wettbewerb“ mitgemacht. Nun tourt sie mit der „Ü100“ durch NRW. Ihre Dienste kommen gut an. An manchen Abenden gehen sechs Packungen Gummibärchen über die mobile Theke.
Aber eigentlich ist das hier eine ganz normale Party. Man tanzt, hat Spaß, plaudert, flirtet. Kurvig kann ja durchaus auch sexy sein.