Witten. . Camela A. (54) hatte keine Angehörigen und ein schwieriges Leben. Bestattungshelfer der Caritas haben sie auf ihrem letzten Weg begleitet.
Die Sonne strahlt gegen 11 Uhr über Heven, Rasenmäher und Sägen rattern. Ein sonderbarer Tag für eine Beerdigung. Wobei: Heike Terhorst möchte ja nicht die vielen schattigen Seiten im Leben der Verstorbenen hervorheben. In ihrer ersten Grabrede als Bestattungshelferin der Caritas geht es um das Durchhaltevermögen, das Camela A. (54) ausgemacht hat.
Den Mensch in der Urne kannte Heike Terhorst überhaupt nicht. Trotzdem hat sie das Wesen der Verstorbenen in ihrem schwarzen Büchlein zusammengefasst. Darin schreibt sie von Camelas Tierliebe, ihrem grünen Daumen und vor allem über ihre schier grenzenlose Zähigkeit. „Sie hatte ein schweres Leben“, sagt Terhorst vor dem Grab, „aber sie hat viel mehr geschafft als das viele für möglich hielten“.
Als Kind misshandelt
Viel Zeit habe sie sich für die Rede genommen, lange Gespräche geführt – allerdings nicht mit der Familie. Camela A. war alleinstehend, „keine bestattungspflichten Angehörigen“, heißt es im Verwaltungsdeutsch. Als Kind wurde sie von ihrem Stiefvater misshandelt, musste ein Leben mit posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen und Schizophrenie bewältigen. Irgendwann kam Krebs dazu. Und die Magersucht. 26 Kilo wog sie einst nur noch. „Sie hat aber immer gekämpft“, sagt Terhorst in ihrer Rede. Bis sie sich nach einer schweren OP im Marien-Hospital nicht mehr erholen konnte.
Fälle wie Camela A. gab es in Witten bis jetzt nie mehr als 60 pro Jahr. Sind eine Woche nach dem Tod keine Angehörigen auffindbar, führt das Ordnungsamt die Bestattung durch – in der Stadt, in der der Mensch gestorben ist. Gehört der Verstorbene einer Konfession an, kommt ein Pfarrer bei der Beisetzung dazu. Gibt es weder Familie noch eine Religionszugehörigkeit, war es lange nur der Bestatter, der dem Verstorbenen die letzte Ehre erwies. Bis die Caritas im Januar und Februar erstmalig Bestattungshelfer ausgebildet hat. Seitdem begleiten Menschen wie Heike Terhorst Verstorbene ohne Hinterbliebene auf ihrem letzten Weg.
„Sie war zäh wie leder“
Wobei Terhorst keine Ehrenamtliche ist. Sie ist neue Leiterin des Caritas-Projektes. Kurz nach dem Start wechselte die erste Koordinatorin ihren Job. Terhorst muss nun erst einmal Erfahrungswerte sammeln. „Gestern war ich noch sehr aufgeregt, aber bei der Rede war ich dann ganz vertieft“, sagt Terhorst nach der Beisetzung. „Und es ist schön, dass doch so viele gekommen sind.“
Zwar hatte Camela A. keine wirkliche Familie, es waren aber neben Bestatter und Caritas auch zwei Freunde der Verstorbenen sowie ihre gesetzliche Betreuerin und zwei Mitarbeiter der Awo-Werkstatt Elektrotechnik in Sprockhövel dabei. Dort arbeitete Camela A. viele Jahre, zuletzt als Küchenhilfe in der Hauswirtschaft. „Sie hat dort so gerne gearbeitet, dass sie eigentlich nie Urlaub machen wollte“, sagt Andrea Gornik, die Camela A. 15 Jahre lang betreut hat.
„Camela war wirklich genau so, wie in der Rede beschrieben“, lobt Gornik den Einsatz der Bestattungshelferin. „Sie war zäh wie Leder. Es gab eigentlich keine Krankheit, die sie nicht hatte, aber sie hat mit ihrem Kämpferherz so viel durchgestanden“, ergänzt die Hattingerin, die sich ein Projekt wie ehrenamtliche Bestattungshelfer auch in anderen Städten wünschen würde. Denn anderswo würden ordnungsbehördliche Bestattungen geradezu unmenschlich ablaufen.
„Wenn Personen ohne Angehörige in Wetter sterben, werden sie beispielsweise einfach auf dem Zentralfriedhof in Bochum bestattet“, erzählt Bestatter Benjamin Vanags. Völlig anonym laufe es dort ab, ohne Teilnahme von Freunden, Bekannten oder Ehrenamtlichen. „Entsorgung“ wird das in der Runde der Anwesenden genannt.
Persönliches und Psalm
Mit Andrea Gornik hat Bestattungshelferin Terhorst vor der Beisetzung intensiv gesprochen, dadurch Details aus dem Leben von Camela A. erfahren. Neben dem Persönlichen trägt Terhorst am Donnerstag auch einen Psalm vor. „Als Caritas haben wir uns entschieden, die Grabrede christlich zu gestalten“, sagt sie – trotz Konfessionslosigkeit der Verstorbenen. Das Grab segnen würde sie aber nicht. „Man muss seine Kompetenzen nicht übersteigen.“
Bei der nächsten ordnungsbehördlichen Bestattung um 12 Uhr wird es anders laufen. Eine Pfarrerin ist gerade angereist. Die Verstorbene war Christin.